Ein Geschenk von Tiffany
bekommen. Seit den Botox-Injektionen plagte sie ein dumpfer Kopfschmerz, den sie einfach nicht abschütteln zu können schien. Eimerweise Cocktails und viel zu wenig Schlaf trugen natürlich auch nicht zur Besserung bei. Aber die zehn Zentimeter hohen Absätze der Schuhe, die Kelly ihr heute früh hingestellt hatte – sie hatte nach Cassies desaströsem Selbstversuch tatsächlich angefangen, ihre Kleidungsstücke zu nummerieren –, ließen das nicht zu. Nicht umsonst wurde so ein Schuhwerk nur als »limousinentauglich« bezeichnet.
Nach einem kurzen Abstecher ins Dean & Deluca für etwas Essbares beschloss sie, sich für den Heimweg ein Taxi zu gönnen. Zuhause angekommen füllte sie sogleich einen kleinen Henkeltopf mit Wasser und stellte ihn auf den Herd. Verstohlen holte sie eine Packung Teebeutel aus ihrer Einkaufstüte. Nach einigem Suchen gelang es ihr, hinter Kellys Unterwäsche eine Tasse aufzutreiben. Die Erdreste darin verrieten zwar, dass das gute Stück einmal als Blumentopf missbraucht worden war, aber für ihre Zwecke genügte es.
Während das Wasser langsam zu kochen begann, zog Cassie sich aus und schlüpfte in eine graue Jogginghose. Dazu zog sie ein marineblaues Kapuzensweatshirt an, das sie in einem Touristenshop weiter unten an der Straße gekauft hatte. Diese Zeit, bis Kelly auftauchte und ihr den Terminplan für den Abend vorlegte, war ihr die kostbarste. Heute hatte sie noch eine ganze Stunde lang Ruhe und Frieden, bis sie sich um sechs mit Kelly im Fitnesscenter treffen musste.
Sie wusste jetzt schon, womit sie den Großteil dieser Zeit verbringen würde: mit Heulen. Heute hatte sie den ersten Anruf von ihrem Scheidungsanwalt bekommen, und die Tränen, die sie vor Bebe tapfer heruntergeschluckt hatte, ballten sich nun in ihrem Herzen zu einem Knoten zusammen und schossen durch ihre Adern wie ein zweiter Blutkreislauf. Weinen schien die einzige Möglichkeit zu sein, den Druck, das Gift loszuwerden, das ihren Körper verseuchte wie Kohlendioxid. Sie konnte nur hoffen, dass die Tränen, sobald sie ihnen einmal ihren Lauf ließ, dieses miefige, muffige, faulige Gefühl aus ihrem Herzen spülten, das sich dort wie ein feuchtes Handtuch festgesetzt hatte, das in der Waschmaschine vergessen worden war. »Lass es raus«, hatte ihre Mutter immer gesagt, und damit hatte sie wohl recht. Aber doch nicht bei jeder Gelegenheit. Seit den ersten paar Tagen, als sie dagegen einfach machtlos gewesen war, versuchte sie nun, möglichst nur zu weinen, wenn sie unbeobachtet war. Vor allem nicht vor Kelly. Nicht, dass sie ihrer Freundin nicht vertraute, aber sie wusste, dass Kelly jede ihrer Regungen genau beobachtete. Aß sie auch genug? War sie lethargisch? Ließ sie Selbstmitleid aufkommen? Mehrmals hatte Cassie mitbekommen, wie Kelly heimlich mit Anouk oder Suzy telefonierte, ein »Fortschrittsbericht«, wie sie es nannte. »Heute hatte sie eigentlich einen recht guten Tag«, würde Kelly vielleicht sagen, »hat allerdings heute früh eine ganze Viertelstunde lang unter der Dusche geheult. Dachte natürlich, ich hätte nichts mitbekommen …«
Sie wollte die anderen nicht enttäuschen – sie machten sich solche Sorgen um sie, taten alles, um es ihr leichter zu machen. Das mindeste, was sie im Gegenzug tun konnte, war, tapfer zu sein und ihre Tränen für sich zu behalten. Trotzdem, wenn die Tränen dann doch einmal flossen, war sie erstaunt und entsetzt, wie heiß sie waren, als hätten sie stundenlang heimlich gebrodelt und würden jetzt überkochen.
Sie machte sich ihren Tee und schickte eine SMS an Kelly: Bin schon zuhause. Kopfschmerzen. Bis dann. C x
Die Antwort kam beinahe sofort. Mach mir nichts vor. Du hast ein heißes Date .
Haha , tippte sie zur Antwort, dann warf sie seufzend ihr BlackBerry aufs Sofa und sank selbst hinterher. Gerade wollte sie sich zurücklehnen, als das verdammte Ding lautstark zu quäken begann. Cassie fuhr heftig zusammen. Sie hatte sich noch nicht daran gewöhnt, dass Kelly ihren Klingelton von Vier Jahreszeiten: Frühling auf einen Chor demenzkranker Kröten geändert hatte. Es dauerte ein paar Sekunden, bis ihr klar war, dass es sich um ihr Handy handelte und nicht um eine Invasion wildgewordener Amphibien.
»Hallo?«
»Chérie, c’est moi!«
»Nooks«, sagte sie mit angestrengter Fröhlichkeit.
Eine Pause. »Wie geht es dir?«
»Mir? Fantastisch. Schufte wie ein Pferd, hab jede Menge neuer und interessanter Leute kennengelernt und schminke mich jeden Tag. Glaub
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