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Ein Geschenk von Tiffany

Ein Geschenk von Tiffany

Titel: Ein Geschenk von Tiffany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Swan Karen
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Minute lang da.
    »Gehst du auch zu dem Meeting?«, fragte er.
    »Nein, bin bloß der Laufbursche.« Sie hielt die Mappe hoch.
    »Ach so.« Sein Blick huschte zu ihr hin. Er beobachtete, wie sich ihre Lippen bewegten, während sie stumm die Nummern der Stockwerke mitzählte.
    »He, Cass … es tut mir leid, falls ich dich neulich beleidigt habe.« Er schaute sie offen an. »Ich bin zu weit gegangen, ich hätte das nicht sagen dürfen. Ich dachte, weil wir uns schon so lange kennen … aber das heißt ja nicht, dass ich dich jetzt kenne. Ich hatte kein Recht … Es ist deine Sache. Du kannst dein Leben so gestalten, wie du willst.«
    »Danke, Henry«, sagte sie mit einem schwachen Lächeln, »es täte mir leid, glauben zu müssen, dass du so … so enttäuscht von mir bist.«
    »Du könntest mich nie enttäuschen, Cass«, sagte er hastig.
    Ein Moment verging. Beide verfolgten die Abfolge der Stockwerksnummern auf der LED-Anzeige.
    »Ach, ich hab ja was für dich!«, sagte er dann und hielt einen Umschlag hoch. »Als Entschuldigung sozusagen. Ich wollte es eigentlich Kelly mitgeben. Hatte nicht erwartet, dich noch mal zu sehen, bevor ich gehe.«
    »Wann fährst du?«
    »Heute Abend.«
    »Ach.« Sie hatten sich gerade erst wiedergetroffen, und der Abend in der Bar war nicht gerade ein rauschender Erfolg gewesen. Es machte sie traurig, dass er jetzt so schnell wieder verschwand. Sie brauchte im Moment jeden Freund, den sie haben konnte.
    Sie nahm den Umschlag. Etwas darin rasselte lose, wie Reis.
    »Was ist das? Konfetti für deine Hochzeit?«, scherzte sie, wurde allerdings rot, als ihr klar wurde, dass sie ja gar nicht wusste, ob sie eingeladen sein würde. Alte Freunde sind nicht unbedingt enge Freunde. »Lacey scheint übrigens sehr nett zu sein.«
    »Ja.«
    »Umwerfend hübsch.«
    »Ja, sie ist ziemlich hübsch.«
    Die Türen öffneten sich mit einem »Ping«, und Kelly fiel ihnen praktisch in die Arme in ihrer Hast, die Mappe mit den Unterlagen an sich zu reißen. »Ach, da bist du ja, Henry!«, rief sie. Henry trat hinter ihr aus dem Lift. »Gut. Wir warten schon auf dich. Alles ist bereit.«
    »Tja, das wär’s dann wohl«, sagte Henry und wandte sich zu Cassie um. Er holte tief Luft und lächelte ihr zu. In diesem Moment wirkte er trotz seiner Odysseus-Brust und den Bärenpranken wie der kleine Bruder von früher.
    »Viel Glück auf deiner Expedition«, sagte sie, »wann kommst du wieder?«
    Er zuckte die Achseln. »Hängt vom Wetter ab, und vom Schicksal, schätze ich. So Gott will, im Juni.« Er nahm sie behutsam bei den Schultern und gab ihr einen Abschiedskuss auf die Wange. »Bis dann.«
    Mit einem wehmütigen Lächeln blickte sie zu ihm auf. Er reiste bis ans Ende der Welt, und sie würde ihn vielleicht noch einmal zehn Jahre lang nicht wiedersehen. »Ja, bis dann, Henry.« Sie schauten sich einen Moment lang stumm an. »Und vergiss nicht, deine Mum anzurufen.«
    Er lachte. Die Lifttüren öffneten sich, und Cassie trat in den Aufzug zurück. Sie stellte sich vor die hintere Wand, ihre grüne Tasche vor den Bauch haltend. Ihr frisch geplättetes butterblondes Haar wehte sanft in der Brise der Klimaanlage. Dann schlossen sich die Lifttüren, und er war verschwunden.
    Cassie warf einen Blick auf ihre Uhr. Es war schon fast fünf, und eigentlich sollte sie zurück zu Bebe ins Studio, aber sie hatte einfach nicht die Kraft, noch mehr von Bebes Charakterattacken mit anzusehen. Sie spürte, wie die Traurigkeit sie wieder überkam. Nicht einmal Bebes Grausamkeiten hätten sie im Moment davon ablenken können oder die fast besessene Betriebsamkeit eines normalen Arbeitstags in Manhattan.
    Sie war müde, das war der Grund. Kelly und sie waren in den anderthalb Wochen, seit sie hier war, jeden Abend ausgegangen – oft erst nach dreiundzwanzig Uhr, wenn alles in Cassies Körper danach verlangte, sich ins Bett zu kuscheln und zu schlafen. Nein, heute hatte sie wirklich keine Lust, bei Kelly »Zwischenmeldung« zu machen und sich von ihr das Abendprogramm diktieren zu lassen. Und sie wollte auch keinen rohen Fisch oder Super Beans zum Abendessen. Sie wollte einen saftigen Hamburger und eine verdammte Tasse Tee. Ihr Körper verlangte danach, wie Kellys nach Adrenalin und Anouks nach seidener Unterwäsche. Sie wollte sich mit einem guten Buch aufs Sofa kuscheln. Hätten ihr die Füße nicht so verdammt wehgetan, sie hätte einen kleinen Umweg gemacht und wäre durch den Central Park gegangen. Um einen klaren Kopf zu

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