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Ein Geschenk von Tiffany

Ein Geschenk von Tiffany

Titel: Ein Geschenk von Tiffany Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Swan Karen
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mir, du würdest mich nicht wiedererkennen.« Sie stieß den Atem aus. »Es geht mir fantastisch.«
    Eine lange Pause. Cassie hob zitternd die Hand an die Schläfe. Sie konnte spüren, wie die Tränen dort pochten.
    »Jetzt noch mal von vorn. Wie geht’s dir?«
    Cassie stieß einen abgrundtiefen Seufzer aus, der alles sagte. »Ganz ehrlich? Ich wünschte … ich wünschte, ich könnte mal eine Nacht durchschlafen. Und ich wünschte, ich würde ohne Herzrasen aufwachen. Ich komme mir vor wie ein Auto, das mit hundertachtzig Sachen über eine Autobahn rast – und das im ersten Gang.« Sie starrte ihre Handrücken an. Erschrocken stellte sie fest, wie dünn und grau ihre Haut war. »Ich möchte atmen können, ohne das Gefühl zu haben, dass jemand auf meiner Brust kniet. Ich will über die letzten zehn Jahre meines Lebens nachdenken können, ohne dass mir die Luft wegbleibt.« Sie versuchte ihre Stimme zu festigen, die Wahrheit zu sagen, ohne emotional zu werden. »Ganz ehrlich, Nooks, wenn mir jetzt ein Doktor anbieten würde, mich ein halbes Jahr in Schlaf zu versetzen, ich würde dankend annehmen. Oder noch besser: in ein kryotherapeuthisches Koma. Würde mich liebend gerne für ein Jahr einfrieren lassen.« Sie versuchte zu lachen, doch es gelang ihr nicht.
    »Ach, chérie «, flüsterte Anouk, »es ist noch früh. Das alles ist doch erst vor so kurzer Zeit passiert. Keiner erwartet von dir weiterzugehen, ohne zurückzuschauen. Das alles war zu erwarten.«
    »Tja, so ist es wohl«, flüsterte Cassie. Eine dicke Träne kullerte ihre Wange hinab.
    »Ich weiß, es klingt abgedroschen, aber die Zeit heilt wirklich alle Wunden. Es wird lange wehtun, aber es wird der Tag kommen, an dem dir klar wird … dass du heute überhaupt noch nicht an ihn gedacht hast, oder dass du ganz vergessen hast, dass er heute Geburtstag hat, oder …«
    »Oder nicht sein Horoskop lese oder in ein Kaufhaus renne, um an seinem Aftershave zu schnuppern, oder anzurufen, um seine Stimme auf dem Anrufbeantworter zu hören …« Cassie brach schluchzend ab. So viel zu ihrem Versuch, ihre Tränen für sich zu behalten.
    »Entschuldige, Nooks«, schniefte sie schließlich. »Du hast mich in einem schlechten Augenblick erwischt. Hab einen anstrengenden Tag hinter mir, du weißt schon, da versagen die Nerven und so.« Sie wischte mit dem Handrücken ihre Tränen ab. »Gott, das muss dir doch schon zum Hals raushängen, mein Geheule.«
    »Cass, du bist meine Freundin. Wenn ich dir jetzt nicht helfen kann, wozu bin ich dann gut? Abgesehen von den Anti-Cellulite-Tipps und guten Schuhen, natürlich.«
    Cassie stieß ein Geräusch aus, das halb Schluchzen, halb Lachen war.
    »Der Tag wird kommen, an dem du den triffst, der ›ihn‹ in den Schatten stellt. Er ist schon auf der Welt, hat meine Mutter immer gesagt. Jemand Besseren. Jemanden, der dich so liebt, wie du es verdienst. Das ist das mindeste, das dir zusteht.«
    »Ja, klar«, brummelte Cassie. Anouk schien zu vergessen, dass ihr, Cassies, Haltbarkeitsdatum allmählich ablief. Sie wurde dieses Jahr einunddreißig. Und sie war nicht nur wieder Single, sie hatte weder ein eigenes Einkommen noch einen Beruf. Es würde Jahre dauern, um sich aus diesem Tal herauszuarbeiten, sich auf eigene Füße zu stellen. Und wie hieß es doch, standen die Chancen für eine alleinstehende Frau über dreißig, in Manhattan den Mann fürs Leben zu finden? Eher würde man von einem Meteoriten getroffen werden. Nein, ihr Traumprinz hatte noch gute zehn Jahre seliger Junggesellenzeit und Gelegenheitssex vor sich, bevor er bei ihr vor Anker gehen würde.
    Sie verabschiedeten sich liebevoll. Anouk schien zu spüren, dass Cassie im Moment vor allem Ruhe und Einsamkeit brauchte. Irgendwo tickte eine Uhr, draußen in den Hochhäusern gingen eins nach dem anderen die Lichter an. Sie legte sich aufs Sofa, drehte sich auf die Seite und ließ die Tränen kullern. Sie war jetzt ruhiger, weniger verzweifelt, einfach nur erschöpft. Müßig starrte sie den Paul-Smith-Teppich an, folgte seinen Windungen und Wirbeln wie ein Kind mit dem Bleistift einem Malbuch-Labyrinth, erst der roten, dann der schwarzen, dann der gelben Linie, wie bei einer Meditation. Sie war gerade bei der türkisen angelangt, als ihr Blick auf den Umschlag in ihrer Tüte fiel.
    Mit jäh erwachter Neugier richtete sie sich auf und öffnete ihn vorsichtig. Falls sich Henrys Humor in den letzten fünfzehn Jahren nicht geändert hatte, konnte sie da drin seine

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