Ein Geschenk von Tiffany
Spazierstock mehr Kontur.«
Cassie sah, wie die Augen des Mädchens verdächtig zu glänzen begannen, wie bemüht es an die Wand hinter ihnen starrte. »Bebe, Sie haben wirklich einen wundervollen Humor«, stieß sie peinlich berührt hervor und gab ein gezwungenes Lachen von sich, das nicht einmal sie selbst überzeugte. Bebe wandte ihr ruckartig den Kopf zu und starrte sie scharf an. Sie wurde einfach nicht schlau aus Kellys neuer Mitarbeiterin, sie schien fast schizophren zu sein, einmal war sie absolut up-to-date, das andere Mal schien sie von einem anderen Planeten hergebeamt worden zu sein.
»Sie hat doch hübsche Fesseln«, beharrte Cassie hoffnungslos, aber Bebe hatte sich bereits festgelegt. Ihre Empörung über die Tatsache, dass ihr das Starmodel im letzten Moment abgesprungen war, hatte sich noch nicht gelegt. (»Diese hohlköpfigen Schaufensterpuppen! Halten sich für Künstlerinnen, was?«) Infolgedessen war Cassie nicht eigentlich hier, um ihre Meinung zu sagen, sondern nur als Schallfläche für Bebes vernichtende Urteile.
»Nein, die ruiniert mir ja die Schau. Die taugt höchstens für Shampoo-Werbung«, verkündete Bebe dröhnend. Dann wandte sie sich zum ersten Mal direkt an das Mädchen, als tue sie ihm damit einen Gefallen. »Du solltest keine Laufsteg-Jobs annehmen. Aber hübsch genug bist du ja.« Das Mädchen sackte sichtlich zusammen. In diesem Metier als »hübsch« bezeichnet zu werden war gleichbedeutend mit »potthässlich«.
Das geplättete Model schlich davon, und das nächste Opferlamm betrat beschwingt die Bühne, die Knie übertrieben weit hochnehmend, mit wiegenden Hüften und lässig schwingenden Armen.
Cassie spürte, wie Bebe sich erneut zu ihr hinbeugte. »Hm?«
Cassies BlackBerry – eine milde Gabe von Kelly – vibrierte in ihrer Tasche. »Bitte entschuldigen Sie mich einen Moment, Bebe«, sagte sie rasch. Bevor sie sich abwandte, fing sie noch den verzweifelten Blick des Fotomodells auf, das sich nun ohne Cassies mildernden Einfluss dem Drachen gegenübersah. »Ja?«
»Cass, ich bin’s«, sagte Kelly atemlos.
»Rennst du schon wieder?«
»Ja, Moment«, keuchte sie, »ich lehne mich … bloß kurz … an diese Wand …«
Cassie wartete geduldig, bis ihre Freundin wieder zu Atem gekommen war.
»Puh! Das war gut – zwölf Stockwerke in sieben Minuten. Ein PR.«
»Ein was?«
»Ein persönlicher Rekord, Dummerchen.«
Cassie verdrehte die Augen. Kelly machte nicht nur mindestens dreimal pro Woche Kickboxing und ging jeden Morgen joggen, sie war außerdem ein passionierter Tower-Runner, sogar in hohen Absätzen. Cassie hatte inzwischen ein paar Mal aussetzen dürfen, weil Kelly Mitleid mit ihr bekommen hatte, aber morgen war sie wieder »dran«.
»Na jedenfalls, ich ruf an, weil ich die Unterlagen für die Breitling-Präsentation im Büro vergessen habe. Könntest du schnell hinfahren und sie mir bringen?«
»Aber ich bin bei Bebe. Wir sind mitten im Casting für die Schau.«
»Wir wissen beide, dass Bebe dich nicht wirklich dafür braucht. Sag einfach, es sei ein Notfall und du müsstest unbedingt zurück ins Büro. Nimm dir ein Taxi, aber lass dir eine Quittung geben. Die Adresse steht auf der Mappe. Wir sind im zwölften Stock.«
Sie hängte auf.
Fünfzehn Minuten später stand Cassie in der Lobby und drückte ungeduldig auf den Liftknopf. Es fiel ihr nicht im Traum ein, die Treppe raufzulaufen, selbst wenn sie sieben Minuten warten musste, bis der Lift aus schwindelnden Höhen herunterkam.
Die Türen gingen auf. Cassie ließ die Leute aussteigen, dann betrat sie den Lift.
»Cassie! Halt die Tür auf!«, rief eine Männerstimme. Die Türen begannen sich zu schließen. Cassie suchte hektisch nach dem Knopf, mit dem man sie aufhielt, aber das war ohnehin überflüssig. Die Türen waren bereits halb geschlossen, als sich jemand seitlich durch die Öffnung warf und keuchend gegen die hintere Spiegelwand prallte. Es war Henry. Cassie duckte sich erschreckt zur Seite – nicht, dass man es ihrem Gesicht angesehen hätte. Der Botox-Doktor, zu dem Kelly sie gestern geschleift hatte, war doch nicht so leichthändig gewesen wie erhofft. Jedes Mal wenn sie jetzt aufs Klo ging, versuchte sie, vor dem Spiegel das Heben einer Augenbraue zu üben, wie ein Sumoringer, der einen Fuß vom Boden stemmt.
»Hallo!«, grinste er, wurde jedoch ernst, als er ihre Miene sah. Er richtete sich auf und schaute weg, während der Lift nach oben surrte.
Schweigend standen sie eine
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