Ein Gesicht so schön und kalt
dem Schluß
führten, dem müsse ein Riegel vorgeschoben werden. Falls
Geoff nicht mit handfesten Gründen für eine Revision rüberkam,
die Skip dann tatsächlich zur Freiheit verhalf, dann bedeutete
das noch weitere zwanzig Jahre in diesem Loch.
In seinen schlimmsten Momenten der Niedergeschlagenheit
erlaubte sich Skip, an die Jahre vor dem Mord zurückzudenken
und die Erkenntnis zuzulassen, wie verrückt er doch gewesen
war. Er und Beth waren damals schon so gut wie verlobt. Doch
dann hatte er Beths Drängen nachgegeben und war allein zu
einer Party gegangen, die Beths Schwester mit ihrem Mann,
einem Chirurgen, zusammen veranstaltete. Beth war im letzten
Moment an einem Infekt erkrankt, wollte aber nicht, daß er um
das Vergnügen gebracht wurde.
O ja, Vergnügen, dachte Skip voller Ironie bei der Erinnerung
an jenen Abend. Suzanne und ihr Vater waren auch gekommen.
Selbst jetzt noch stand ihm vor Augen, wie sie damals aussah,
als er ihr zum erstenmal begegnete. Ihm war sofort
klargeworden, daß sie Unheil bedeutete, aber wie ein Narr
verknallte er sich trotzdem in sie.
Ungeduldig stand Skip jetzt von seinem Lager auf, stellte den
Fernsehapparat aus und blickte auf das Prozeßprotokoll auf dem
Bord über der Toilette. Er hatte das Gefühl, den ganzen Text
auswendig zu können. Genau da gehört das Ding auch hin,
dachte er mit Bitterkeit: übers Klo. Bei all dem Nutzen, den es
mir je bringen wird, sollte ich’s zerfetzen und runterspülen.
Er streckte sich. Früher war er es gewohnt gewesen, mittels
einer Kombination von harter Anstrengung auf den Baustellen
und regelmäßigem Training in der Sporthalle fit zu bleiben. Jetzt
aber vollführte er rigoros jeden Abend eine Serie von
Liegestützen und Situps. Der kleine Plastikspiegel an der Wand
offenbarte graue Strähnen in seinem roten Haar und eine teigige
Gefängnisblässe in seinem Gesicht, das einst von der Arbeit im
Freien gut durchblutet gewesen war.
Der Tagtraum, den er sich zubilligte, handelte davon, daß er
eines Tages durch irgendein Wunder wieder die Freiheit haben
würde, Häuser zu bauen. Die bedrückende Beengtheit und der
nicht ablassende Lärm hier hatten ihm Visionen von
behaglichen Einfamilienhäusern eingegeben, die mittels guter
Isolierung eine Privatsphäre garantierten und durch eine Menge
Fenster den Blick in die Umgebung freigaben. Er hatte ganze
Ringbücher voller Entwürfe.
Wann immer Beth ihn besuchen kam - wovon er sie
neuerdings abzubringen suchte -, zeigte er ihr gewöhnlich seine
neuesten Zeichnungen, und dann sprachen sie darüber, als werde
er tatsächlich eines Tages wieder zu seinem geliebten Beruf,
dem Bau von Häusern, zurückkehren können.
Jetzt allerdings mußte er sich den Kopf darüber zerbrechen,
wie die Welt überhaupt aussehen und worin die Menschen dann
wohnen würden, wenn er endlich diesen schrecklichen Ort
verlassen konnte.
22
Kerry war sich bewußt, daß es wieder einmal spät werden
würde. Sie hatte sofort, nachdem Geoff gegangen war, das
Protokoll zu lesen begonnen und, sobald Robin im Bett war, die
Lektüre wieder aufgenommen.
Um halb zehn rief Grace Hoover an. »Jonathan ist weg zu
irgendeiner Verabredung. Ich sitze bequem im Bett und bekam
Lust, ein bißchen zu plaudern. Paßt es dir denn gerade?«
»Es paßt mir immer, wenn du’s bist, Grace.« Kerry meinte es
ehrlich. In den fünfzehn Jahren, seit sie Grace und Jonathan
kannte, hatte sie die Verschlechterung von Grace’ körperlichem
Zustand miterlebt. Von einem Spazierstock war sie zu Krücken
übergegangen, schließlich zu einem Rollstuhl, und von einer
gesellschaftlich äußerst aktiven zu einer fast völlig ans Haus
gebundenen Frau geworden. Sie hielt zwar den Kontakt mit
Freunden aufrecht und hatte häufig Gäste zum Abendessen, das
sie sich fertig liefern ließ, aber, wie sie es Kerry gegenüber
formulierte: »Es ist einfach zu anstrengend geworden, aus dem
Haus zu kommen.«
Kerry hatte Grace noch nie klagen gehört. »Man tut halt seine
Pflicht«, hatte sie mit einem schiefen Lächeln erklärt, als Kerry
ihr geradeheraus gesagt hatte, wie sehr sie ihre Tapferkeit
bewundere. Jetzt aber stellte sich nach einigen Minuten
vertraulicher Plauderei heraus, daß Grace diesmal etwas auf dem
Herzen hatte. »Kerry, du hast doch heute mit Jonathan
zusammen zu Mittag gegessen, und ich will ganz offen sein. Er
macht sich Sorgen.«
Kerry hörte zu, während Grace Jonathans Bedenken
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