Ein Gesicht so schön und kalt
sitzt im Wartezimmer, und sie sagt, daß sie dort sitzen
bleibt, bis Sie mit ihr reden. Soll ich den Sicherheitsdienst
rufen?«
O mein Gott, dachte Kerry. Skip Reardons Mutter! Was die
nur will? »Nein. Sagen Sie ihr, sie kann reinkommen, Janet.«
Deidre Reardon rückte sofort mit der Sprache heraus. »Ich
erzwinge mir normalerweise nicht den Weg ins Büro von
Leuten, Ms. McGrath, aber diese Sache ist zu wichtig. Sie sind
zum Gefängnis gefahren, um meinen Sohn zu besuchen. Sie
müssen einen Grund dafür gehabt haben. Irgendwas hat Sie auf
den Verdacht gebracht, daß man vielleicht ein Fehlurteil gefällt
hat. Ich weiß, daß es so ist. Ich kenne meinen Sohn, und ich
weiß, daß er unschuldig ist. Aber warum wollten Sie ihm dann,
nachdem Sie bei ihm waren, nicht helfen? Besonders, wenn man
bedenkt, was inzwischen über Dr. Smith rausgekommen ist.«
»Es geht nicht darum, daß ich ihm nicht helfen wollte, Mrs.
Reardon. Es geht darum, daß ich ihm nicht helfen kann. Es gibt
keine neuen Beweise. Es ist zwar merkwürdig, daß Dr. Smith
andere Frauen mit dem Gesicht seiner Tochter versehen hat,
aber es ist nicht illegal, und es ist vielleicht einfach seine
Methode, mit dem schmerzlichen Verlust besser fertig zu
werden.«
Deidre Reardons Gesichtsausdruck wechselte von besorgter
Erregung zu Zorn. »Ms. McGrath, Dr. Smith weiß nicht mal,
was ein ›schmerzlicher Verlust‹ überhaupt ist. In den vier
Jahren, die Suzanne und Skip verheiratet waren, hab’ ich ihn fast
nie zu sehen gekriegt. Wollte ich auch nicht. Seine Haltung ihr
gegenüber hatte etwas absolut Krankhaftes an sich. Ich erinnere
mich beispielsweise an einen Tag, da hatte Suzanne irgendeinen
Schmierfleck auf der Backe. Dr. Smith ging zu ihr hin und hat
den Fleck abgewischt. Man hätte glauben können, daß er eine
Statue abstaubt, so gründlich hat er ihr Gesicht überprüft, um ja
sicherzugehen, daß er auch alles erwischt hat. Er war stolz auf
sie. Das geb ich gerne zu. Aber Zuneigung? Nein.«
Geoff hatte darüber geredet, wie emotionslos Dr. Smith im
Zeugenstand gewesen war, dachte Kerry. Aber das beweist noch
gar nichts.
»Mrs. Reardon, ich verstehe wirklich, wie Ihnen zumute sein
muß -«, begann sie.
»Nein, tut mir leid, das tun Sie nicht«, unterbrach Deidre
Reardon sie. »Mein Sohn ist unfähig zu Gewalttätigkeit. Er hätte
genausowenig in voller Absicht diese Kordel von Suzannes
Taille genommen und ihr um den Hals gelegt und sie damit
erdrosselt, wie Sie und ich so etwas fertiggebracht hätten.
Stellen Sie sich doch mal so jemand vor, der solch ein
Verbrechen begehen konnte. Was für ein Monster ist der nur?
Denn dieses Monster, das ein andres menschliches Wesen auf so
abscheuliche Weise töten konnte, war damals abends in Skips
Haus. Und jetzt stellen Sie sich Skip vor.«
Tränen füllten Deidre Reardons Augen, als sie aufbrauste: »Ist
denn gar nichts von seinem Wesen, von seiner Güte zu Ihnen
durchgedrungen? Sind Sie blind und taub, Ms. McGrath?
Kommt Ihnen mein Sohn wie ein Mörder vor, oder hört er sich
so an?«
»Mrs. Reardon, ich habe mich nur deshalb mit diesem Fall
beschäftigt, weil mir Dr. Smiths zwanghafte Fixierung auf das
Gesicht seiner Tochter merkwürdig vorkam, nicht weil ich Ihren
Sohn für unschuldig hielt. Diese Entscheidung zu fällen war
Sache der Gerichte, und die haben entschieden. Er hat eine
Reihe von Berufungsverfahren bekommen. Es gibt nichts, was
ich tun kann.«
»Ms. McGrath, Sie haben doch eine Tochter, soviel ich weiß,
richtig?«
»Ja, das stimmt.«
»Dann malen Sie sich bitte mal aus, wie sie zehn Jahre lang
eingekerkert ist und noch zwanzig weitere Jahre in diesem
Kerker vor sich hat, und das für ein Verbrechen, das sie nicht
begangen hat. Glauben Sie, daß Ihre Tochter eines Tages zu
einem Mord fähig wäre?«
»Nein, keinesfalls.«
»Genausowenig ist es mein Sohn. Bitte, Ms. McGrath, Sie
sind in der Lage, Skip zu helfen. Lassen Sie ihn nicht im Stich.
Ich weiß nicht, weshalb Dr. Smith gelogen hat, aber allmählich,
glaub ich, versteh ich, warum. Er war eifersüchtig auf ihn, weil
Skip mit Suzanne verheiratet war, mit allem, was dazugehört.
Denken Sie darüber nach.«
»Mrs. Reardon, als Mutter verstehe ich, wie sehr Ihnen das
alles zu Herzen geht«, sagte Kerry sanft und blickte ihr dabei in
das verhärmte, bekümmerte Gesicht.
Deidre Reardon erhob sich. »Ich merke, daß Sie alles, was ich
Ihnen sage, einfach abtun, Ms. McGrath. Geoff hat
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