Ein Gesicht so schön und kalt
verbrachte Jason den Abend mit dem
aufrichtigen Wunsch, er wäre zu Hause geblieben und hätte sich
sein Seezungenfilet zubereitet.
Als er um halb elf nach Hause zurückkehrte, wurde sein Tag
darüber hinaus durch die einzige Botschaft ruiniert, die er auf
seinem Anrufbeantworter abhörte. Sie kam von Kerry McGrath,
die sich als Staatsanwältin von Bergen County vorstellte, ihre
Telefonnummer angab und ihn bat, sie bis elf Uhr abends oder
aber gleich am folgenden Morgen bei ihr zu Hause anzurufen.
Sie erklärte, sie habe die Absicht, sich inoffiziell mit ihm über
seine verstorbene Nachbarin und gute Bekannte, das Mordopfer
Suzanne Reardon, zu unterhalten.
69
Geoff Dorso fuhr am Freitag abend nach Essex Fells zum
Haus seiner Eltern zum Essen. Es war eine Veranstaltung mit
Anwesenheitspflicht. Unerwartet waren seine Schwester Marian
und ihr Mann Don mit ihren zweijährigen Zwillingen aus
Boston zum Wochenende gekommen. Seine Mutter versuchte
sofort ihre übrigen vier Kinder samt Angetrauten und
Sprößlingen zu Ehren der Besucher herbeizuzitieren. Freitag
war der einzige Abend, an dem auch alle anderen kommen
konnten, also hatte es Freitag zu sein.
»Du schiebst also irgendwelche anderen Pläne auf, ja,
Geoff?« hatte seine Mutter halb gebettelt, halb angeordnet, als
sie ihn am Nachmittag anrief.
Geoff hatte keine Pläne, doch da er hoffte, sich ein Guthaben
gegen eine weitere Einladung dieser Art zu verschaffen, meldete
er Bedenken an: »Also ich weiß nicht, Mom. Da muß ich erst
was umarrangieren, aber…«
Er bedauerte sofort, daß er sich auf dieses Manöver
eingelassen hatte, denn der Tonfall seiner Mutter wechselte zum
Ausdruck lebhaften Interesses, als sie ausrief: »Ach, du hast eine
Verabredung, Geoff! Hast du jemand Nettes kennengelernt?
Sag’s bloß nicht ab. Bring sie mit. Ich würde sie schrecklich gern
kennenlernen!«
Geoff stöhnte im stillen auf. »Ach weißt du, Mom, ich hab’
bloß Spaß gemacht. Ich hab’ gar keine Verabredung. Ich bin
dann so gegen sechs da.«
»Gut, mein Lieber.« Es war unüberhörbar, daß die Freude
seiner Mutter über seine Zusage von der Tatsache getrübt
wurde, nun nicht in Kürze eine potentielle Schwiegertochter
vorgestellt zu bekommen.
Als er den Hörer auflegte, gestand Geoff sich ein, daß er,
wenn es um Samstag abend gegangen wäre, versucht gewesen
wäre, Kerry vorzuschlagen, ob sie nicht mit Robin zum Essen
im Haus seiner Eltern mitkommen wolle. Sie würde vermutlich
die Flucht ergreifen, dachte er.
Ihn beunruhigte plötzlich die Erkenntnis, daß es ihm schon
mehrmals während des Tages durch den Kopf gegangen war,
daß seine Mutter Kerry sehr, sehr gern haben würde.
Um sechs Uhr fuhr er vor dem ansehnlichen, weiträumigen
Haus im Tudor-Stil vor, das seine Eltern vor siebenund zwanzig
Jahren zu einem Zehntel seines gegenwärtigen Wertes gekauft
hatten. Es war ein ideales Heim für eine Familie, als wir
heranwuchsen, dachte er, und es ist auch jetzt ein idealer
Familiensitz bei all den Enkeln. Er parkte vor dem alten
Kutscherhaus, in dem jetzt seine jüngste, noch unverheiratete
Schwester wohnte. Das Kutscherhaus-Apartment hatte ihnen
allen der Reihe nach als Wohnung gedient, nachdem sie mit dem
College oder ihrer weiteren Hochschulausbildung fertig waren.
Er selbst hatte sich während seines Jurastudiums an der
Columbia Law School und dann noch für zwei weitere Jahre
dort eingerichtet.
Wir hatten es wirklich wunderbar, dachte er, während er die
kalte Novemberluft einatmete und sich auf die Wärme in dem
einladenden, hell erleuchteten Haus freute. Seine Gedanken
kehrten zu Kerry zurück. Ich bin froh, daß ich kein Einzelkind
bin, überlegte er. Ich bin dankbar, daß Dad nicht starb, als ich
im College war, und Mutter nicht wieder geheiratet hat und an
die dreitausend Kilometer weit weg gezogen ist. Es kann damals
bestimmt nicht leicht für Kerry gewesen sein.
Ich hätte sie heute anrufen sollen, dachte er. Warum habe ich’s
nicht getan? Ich weiß, daß sie es nicht mag, wenn irgend jemand
ständig über sie wacht, aber andererseits hat sie eigentlich
keinen Menschen, mit dem sie ihre Sorgen teilen könnte. Sie
kann Robin nicht so beschützen, wie unsre Familie hier eines
unserer Kinder beschützen könnte, wenn Gefahr im Verzug
wäre.
Er ging den Weg zum Haus hoch, machte sich selbst die Tür
auf und mischte sich dann in die geräuschvolle Wärme, die so
typisch dafür war, wenn sich drei
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