Ein Girl zum Pferde stehlen
zahlungskräftiges Publikum zusammenkam, zog erfahrungsgemäß nicht nur Händler, sondern auch zwielichtiges Gesindel an, wie ein Kadaver die Aasgeier. Also hatte Lassiter sich auf den Weg gemacht, um dort nach der jungen Frau umzusehen, wegen der sich Gus Bailey eine Menge Sorgen machte.
Er lenkte sein Pferd gerade über den langgezogenen Bergrücken, der sich östlich von Lowell-Springs sichelförmig entlang zog, als er einen Wagen bemerkte, der in diesem Moment stadtauswärts in einem Waldstück verschwand.
Lassiters Rücken straffte sich, denn er hatte das Fahrzeug trotz der Entfernung sofort wiedererkannt.
Einen so auffällig bemalten Überbau gab es in ganz Idaho garantiert nicht noch ein zweites Mal.
Lassiter rammte seinem Braunen die Fersen in die Seiten, dann jagte er bergab der Stelle entgegen, wo der Fahrweg in das dichte Grün der Bäume eintauchte.
Fünf Minuten später hatte er das Fuhrwerk eingeholt.
Lassiter lenkte seinen Braunen an dem Wagen vorbei, bevor er ihn zwanzig Yard vor ihm quer auf der Straße zum Stehen brachte.
Ewans riss die Zügel auf dem Kutschbock so hart zurück, dass die beiden Zugpferde die Köpfe weit in den Nacken warfen. Ihre Hufe rutschen über den steinigen Untergrund, bis sie genügend Halt fanden, um das plötzliche Bremsmanöver zu einem erfolgreichen Ende zu bringen.
»Hast du den Verstand verloren, du blöder Idiot?«, schimpfte der fahrende Heiler, während er Lassiter wütend mit der geballten Faust drohte. »Mach, dass du aus dem Weg kommst, wenn du nicht willst, dass ich dich einfach über den Haufen kutschiere!«
Die Drohung beeindruckte Lassiter nicht im Geringsten. »Deine Fahrt ist hier vorläufig zu Ende. Zumindest solange, bis wir uns unterhalten haben.«
»Ach ja?« Ewans funkelte ihn erbost an. »Worüber?«
Patricia, die neben ihm auf der Bank saß, beugte sich vornüber.
Lassiter erkannte sofort, dass sie nach der abgesägten Schrotflinte greifen wollte, die in einer Halterung unter dem Sitz hing.
Bereits einen Wimpernschlag später hielt er seinen 38er Remington in der Hand.
»Die Knarre bleibt dort, wo sie ist.« Sein energischer Befehl ließ die Begleiterin des Wunderheilers mitten in der Bewegung innehalten. »Wenn ihr vernünftig seid und tut, was ich von euch verlange, wird euch nichts geschehen.«
Ewans zog die Stirn in Falten. »Hast du es auf unser Geld abgesehen? Ich sag dir gleich: Da ist nicht viel zu holen. Die Geschäfte sind in der letzten Zeit nur beschissen gelaufen, und deshalb …«
»Das ist kein Überfall«, unterbrach ihn Lassiter. »Ich möchte lediglich wissen, was aus der jungen Frau geworden ist, die man in White Bird zu euch gebracht hat.«
Das Paar auf dem Kutschbock glotzte ihn mit großen Augen an.
Ewans war durchaus bewusst, dass er wegen Carlotta schon einmal in Schwierigkeiten geraten war. »Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst«, behauptete er deshalb, nachdem er die anfängliche Überraschung verdaut hatte.
»Du brauchst gar nicht erst zu versuchen, mir den Ahnungslosen vorzuspielen. Ich rede von dem kranken Girl, das ein Reiter bei euch abgeliefert hat. Diese Lady hat es mit in den Wagen genommen.« Lassiter deutete mit dem Revolverlauf auf Patricia, die die Lippen so fest aufeinander presste, dass nur noch zwei schmale Linien davon zu erkennen waren. »Angeblich, um sich um die junge Frau zu kümmern. Wo ist sie jetzt?«
»Ach, jetzt fällt bei mir der Groschen.« Ewans tippte sich mit der Fingerspitze an die Schläfe. Seine angebliche Erleuchtung war genauso falsch wie sein Arzttitel. »Bei so vielen Patienten, wie sie uns begegnen, kann es schon mal passieren, dass man den Überblick verliert. Nachdem Pat … äh, ich meine, nachdem Madame Mysterious sich um die Kleine gekümmert hat, ging es ihr schon bald wieder besser. Nachdem sie sich erholt hatte, hat sie uns wieder verlassen.«
»Dann ist sie also nicht mehr dahinten im Wagen?« Lassiter zog skeptisch eine Augenbraue in die Höhe.
»Nein«, erwiderte das Paar wie aus einem Mund. Obwohl sich beide um einen möglichst unbeteiligten Gesichtsausdruck bemühten, war ihre wachsende Nervosität nicht zu übersehen.
Lassiter nickte. Ihm war klar, dass er auf das Wort der zwei fahrenden Mediziner nicht viel geben konnte. Sie hatten etwas zu verheimlichen – das war so sicher wie das Amen in der Kirche. Hatte Bailey mit seinen Mutmaßungen richtig gelegen? Befand sich die junge Frau noch immer im Wagen und hatte sich bisher bloß noch deshalb
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