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Ein Gott der keiner war (German Edition)

Ein Gott der keiner war (German Edition)

Titel: Ein Gott der keiner war (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: André Gide , Arthur Koestler , Ignazio Silone
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vielleicht keine große Bedeutung gehabt. Aber ein solcher konnte er nicht sein, denn die GPU, die ihn veranlaßte, hatte Macht und neue Befugnisse und daher eine neue Willkürstellung gewonnen. Im Januar 1928 wurde Leo Trotzki verhaftet und nach Zentralasien verbannt. Sein Verbrechen bestand in doktrinären und politischen Meinungsverschiedenheiten mit Stalin. Vor der Revolution und unter Lenins Leitung wurden derartige Gegensätzlichkeiten durch Diskussionen und Abstimmungen der Kommunistischen Partei gelöst. Nunmehr wurde der Revolver der GPU das entscheidende Argument.
    Ungeachtet der Verdienst; der Stellung Trotzkis oder Stalins – und beim nochmaligen Lesen meiner damaligen Berichte stelle ich fest, daß ich mich keinem von beiden anschloß —, war die Verwendung der Geheimpolizei zur Beilegung einer Auseinandersetzung das Waterloo der Kommunistischen Partei. Von nun an wurde es denen, die die Gewalt hatten, zur Gewohnheit, sich einzubilden, daß sie weise wären. Andersdenkende zogen die Sicherheit persönlicher Meinungsäußerung vor. Demzufolge triumphierte der Zynismus über die Anständigkeit. Ich vermerkte diese Erscheinungsformen, begriff aber nicht, daß sie den Anfang einer Dekadenz darstellten, die die heutige „große Linie" und das große Schweigen bewirkt hat. Außerdem war es unvermeidlich, daß sie zu dem Aufstieg des „großen Führers" ihr Teil mit beitrugen.
    Alles in mir lehnte sich gegen die kriecherische Speichelleckerei und sacharinsüßliche Verherrlichung Joseph Stalins auf. Die amtliche Propaganda, für die er persönlich verantwortlich war, stellte ihn als den unfehlbaren, gütigen, allmächtigen Schöpfer alles dessen hin, was gut in der Sowjetunion war. Von ihm strömte nur Segen aus. Notwendigerweise also waren Fehlschläge, das Leiden der Masse und Rückschläge das Werk von „Schädlingen", „Trotzkisten" und „Volksfeinden".
    Ich machte meinem Widerwillen gegen die Stalin-Vergötterung in einem in Moskau geschriebenen und 1930 in New York veröffentlichten Artikel Luft. Ich machte Stalin dafür verantwortlich und kennzeichnete sie mit dem übelsten aller Ausdrücke, nämlich als „antibolschewistisch". In Wirklichkeit war sie bolschewistisch, diese unumgängliche letzte Folge der Diktatur. Mussolini und Hitler dirigierten ähnliche Symphonien von Lobpreisungen der eigenen Person. Damals sah ich noch nicht, daß Stalins Geschmacklosigkeit und das üble Benehmen der GPU tödliche Keime waren. Ich meinte, es seien Geschwüre an einem gesunden Staatskörper, der neue Städte aufbaute und neue Werte schuf. Ich hielt die vorteilhaften Dinge für grundlegend-wesentlich und die nachteiligen für vorübergehende Erscheinungen. Ich befaßte mich mit dem gesamten Material und legte es auf die Waagschale: doch die Hoffnung entstellte meine Beurteilung, und ich verwandte infolgedessen ungenaue Gewichte. Obwohl ich sah, wurde mein Glaube nicht irritiert.
    Mag sein, daß in mir langsam die Ernüchterung heranreifte. Aber kein ernsthaftes „Kronstadt" drohte, und wäre dies der Fall gewesen, so würde mich Hitlers Auftreten im Jahre 1933 daran gehindert haben, das Sowjetregime zu verwerfen. Die Nazis bekannten sich laut zu ihrem Kult: das Schlachtbeil („Köpfe werden rollen", sagte Hitler, der Führer), ein vergrößertes Deutschland, Antisemitismus und Antikommunismus. Wenn sie gewönnen, dann würde die Welt in Barbarei und Blut ertrinken. Die deutschen Kommunisten hatten Hitler an die Macht geholfen; sie meinten, daß die Zerstörung der demokratischen Mitte ihnen ihren Kampf mit den Nazi-Radikalisten erleichtern würde. Dies ist eine unheilbare kommunistische Fehlrechnung. Aber nachdem einmal die Faschisten in Deutschland die Macht übernommen hatten, führten deutsche und andere Kommunisten die Antinazikampagne, und nachdem sie mindestens ein Jahr lang gezögert hatte, schloß sich die Sowjetregierung diesem Kampf an. Die kapitalistischen Nationen erkannten die Hitler-Bedrohung erst viel später.
    Der sowjetische Außenkommissar Litwinow ließ nunmehr einen gewaltigen Feldzug für eine antifaschistische Koalition vom Stapel, um das Ausbrechen eines Krieges zu verhindern. In Genf machte er schonungslos die sogenannten „appeasers", das heißt die Leute herunter, die für eine Verständigung mit Hitler, Mussolini und Japan eintraten. Der Erfolg, den er damit bei den Journalisten und Pazifisten hatte, war keine Entschädigung für seine erfolglosen Bemühungen, die Politik der

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