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Ein Gott der keiner war (German Edition)

Ein Gott der keiner war (German Edition)

Titel: Ein Gott der keiner war (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: André Gide , Arthur Koestler , Ignazio Silone
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Dorfe und gingen von Kate zu Kate, wo sie den Bewohnern befahlen, eine Kolchose zu bilden. Man bedrohte die Bauern mit der Verbannung nach Sibirien und Turkistan, wo sie als Kulaken angesiedelt werden sollten, falls sie weiterhin dabei beharrten, selbständige Landwirtschaften zu betreiben.
    Durch diese Maßnahmen wurde die große Masse der russischen Bauern in Kollektivbetrieben zusammengepfercht. Doch selbst wenn sie einmal darin waren, murrten sie oder sie sabotierten die gemeinschaftliche Arbeit aus Protest gegen die überhoben Steuern oder weil sie immer noch hofften, daß die Regierung die Kolchosen als einen Fehlschlag aufgeben würde. In der Ukraine führten diese Verhältnisse zu der Hungersnot von 1931/32, durch die mehrere Millionen Menschen umkamen. Ganze Ortschaften starben aus. Der Preis, der für die bolschewistische Übereilung und für starres Festhalten am Dogma gezahlt wurde, war ungeheuer.
    Ich besuchte in der Zeit von 1929 bis 1936 reihenweise Kollektivbetriebe in der Ukraine, auf der Krim, im Kaukasus und in Nordrußland. Sie machten den Eindruck, als wären sie den winzigen, heruntergekommenen Bauernanwesen früherer Jahre weit überlegen. Es waren Maschinen eingeführt worden. Kleinkinderbewahranstalten und Kindergärten waren eingerichtet worden. Verwaltungsbeamte sagten, der Ertrag pro Morgen Land sei gestiegen. Saatgutversuche, künstliche Befruchtung der Rinder, elektrische Tiefpflüge und andere wissenschaftliche Neuerungen, die die kühnsten Phantasien des selbständigen Bauern übertrafen, gab es jetzt für die Kollektivbetriebe.
    Glichen die positiven Momente die negativen aus? Entsprachen die Unkosten den gemachten Versprechungen?
    Meine eigene Haltung fing an mich zu beunruhigen. War ich nicht im Begriff, Stahl und Kilowatts zu verherrlichen und darüber den Menschen zu vergessen? Sämtliche Schuhe, Schulen, Bücher, Traktoren, elektrische Beleuchtungen und Untergrundbahnen der Erde würden nicht die Welt zustande bringen, von der ich träumte, wenn das System, das sie schuf, unmoralisch und unmenschlich war.
    Schwarze Stellen machten sich in dem Bilde bemerkbar, das ich mir auf Grund meiner sowjetischen Eindrücke gemacht hatte. Die Bolschewisten inszenierten im Juni 1928 den ersten ihrer großen Moskauer Prozesse: den Schachti-Prozeß. Sowjetische Ingenieure wurden der Sabotage und Spionage angeklagt. Ich wohnte den sämtlichen Verfahren in der berühmten Säulenhalle bei, ich wußte nicht, wieviel ich glauben sollte. Ich glaubte einen Teil der Dinge. Über den Rest war ich im Zweifel. Meine Zweifel wuchsen, als ein GPU-Soldat mit aufgepflanztem Bajonett einen Mann namens Muschkin in den Zeugenstand führte. Bis auf den heutigen Tag besinne ich mich auf seinen Namen, seinen braunen Anzug und sein teigiges, fleischiges, fahles, rundes Gesicht. Er lieferte Beweismaterial gegen den Angeklagten Rabinowitsch, einen Mann von über siebzig Jahren, der mit seinem glänzend geführten Kampf um sein Leben alles fertigbrachte, aber nicht den schreckeneinflößenden und deswegen unbesiegbaren Staatsanwalt in einem messerscharf geführten Kampf überwinden konnte. Muschkin war hereingeführt worden, um den Fall zugunsten der Regierung zu entscheiden. Er war mehrere Monate wegen einer Anklage im Gefängnis gewesen, die in keinem Zusammenhang mit dem gegenwärtig zur Verhandlung stehenden Schachti-Prozeß stand. Muschkin erklärte unter Eid, daß er Rabinowitsch eine Bestechungssumme für ihn persönlich und weitere Bestechungssummen zur Verteilung an andere Angeklagte ausgehändigt habe.
    Rabinowitsch ging bis auf einen halben Meter auf Muschkin zu, starrte ihm mitten ins Gesicht und sagte: „Sagen Sie mir bitte, von wem sprechen Sie eigentlich, von mir oder von jemand anderem?"
    „Ich spreche von Ihnen", erwiderte Muschkin.
    „Warum lügen Sie, he?" rief Rabinowitsch aus, „wer hat Ihnen gesagt, daß Sie lügen sollen? Sie wissen, daß Sie mir kein Geld gegeben haben."
    Muschkin leierte mit noch käsigerem und bleicherem Gesicht seine Geschichte wie ein aufgezogener Automat noch einmal herunter. Der GPU-Soldat führte ihn aus dem Gerichtssaal ab. Krylenko machte einen niedergeschlagenen Eindruck. Es war klar, daß Muschkin nur eine für ihn im Keller der GPU eingedrillte Rolle gespielt hatte.
    Ich teilte meine Auslegung dieses Vorfalls mit einem leitenden Beamten des Außenkommissariats. Er kannte mich gut und war nicht gegenteiliger Ansicht. Der Fall Muschkin hätte als Einzelfall

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