Ein Gott der keiner war (German Edition)
unsympathischen Kommunisten recht haben und die gutwilligen kleinbürgerlichen Charaktere im Unrecht sind. Natürlich gebe ich zu, daß die Partei ein Buch dieser Art nicht begrüßen würde." Chalmers' Idee für einen Roman mit unsympathischen Kommunisten, die die Sache gegen die der historischen Entwicklung wohlmeinenden, aber historisch im Unrecht befindlichen Kapitalisten rechtfertigen, ist ein Gleichnis, an dem die Stellung des intellektuellen Kommunisten sehr genau dargelegt wird. Er setzt seinen Glauben auf einen historischen Automatismus, der selbst, wenn er durch schlechte Leute mit schlechten Mitteln erreicht wird, am Ende doch die Menschen gut machen wird, genau so wie das kapitalistische System automatisch alle guten Bestrebungen in Kanäle von Krieg und Zerstörung leitet. Es ist in den Reihen der Kommunisten nicht gern gesehen, daß man den kommunistischen Glauben so darstellt. Mr. Harry Pollitt hatte mir gesagt, nach seiner Meinung sei der beste revolutionäre Roman das Buch von Jack London: „Die eiserne Ferse."
Im Jahre 1937, einige Jahre nach diesem Gespräch, fragte ich Chalmers, was er von den letzten russischen Prozessen hielte, in die Bucharin, Radek und andere verwickelt waren. Er zögerte einen Augenblick, blickte auf einen in der Ferne befindlichen Gegenstand, blinzelte und sagte dann: „Es gibt so viele dieser Prozesse, daß ich es aufgegeben habe, darüber lange nachzudenken." Er hatte sich entschieden. Er hatte die Methoden der Gegenwart akzeptiert, weil seine Hoffnung fest auf die Zukunft gerichtet war, und damit war alles entschieden.
Er vereinigte einen Glauben an die unerbittlich ablaufende marxistische Geschichtsentwicklung mit einem mystischen Vertrauen auf die Arbeiter. Er glaubte daran, daß die Arbeiter die Zukunft repräsentierten und daß sie, wenn man ihnen die Möglichkeit gäbe, sich zu einer besseren Zivilisation entwickeln würden. Zweifellos gingen seine Gedankengänge, soweit er überhaupt je böse Zweifel an den kommunistischen Methoden hegte, dahin, daß in einer Arbeiterwelt die klassenlose proletarische Gesellschaft in dem Boden heranreifen werde, der von den Methoden der Diktatur des Proletariats durchpflügt worden war.
Es liegt auf der Hand, daß in diesem Glauben mystische Elemente enthalten waren. Ja ich glaube sogar, daß dieser Umstand für die Intellektuellen einen Anziehungspunkt am Kommunismus bildet. Wenn man an die politische Aktion und an wirtschaftliche Kräfte glaubt, die neue Energien in die Welt einströmen lassen, so bedeutet das eine Kraftauslösung innerhalb des eigenen Wesens. Dann hört es auf, daß man von Mitleid für die Opfer der Revolution behindert wird. Ja, man kann dann sogar das Mitleid als eine Widerspiegelung des eigenen reaktionären Wunsches ansehen, sich den Folgen der Revolution zu entziehen. Man kann den eigenen Glauben an die letzten Ziele der Menschheit beibehalten und gleichzeitig die Tausende in den Konzentrationslagern, die Zehntausende von Sklavenarbeitern ignorieren. Existieren sie überhaupt? Ob sie existieren oder nicht: es ist bürgerliche Propaganda, es zu behaupten. Deswegen muß man abstreiten, daß es irgendwelche Sklavenlager in Rußland gibt. Das Leben dieser Leute ist zu einer Abstraktion in einer Auseinandersetzung geworden, in der die Gegenwart der Kampf ist und die Zukunft der Kommunismus ist – eine Welt, in der ein jeder am Ende frei sein wird. Gibt man sich selber gegenüber das Vorhandensein der Konzentrationslager zu, dann kann man sie als unvermeidliche, von der guten Sache verlangte Opfer betrachten. Die Hauptsache ist, daß man seine Augen auf das Ziel gerichtet hält, denn dann wird man frei von Grauen und Angst, die in jedem Falle ganz nutzlos sind, und die die Kräfte des liberalen Denkens behindern. (Nichtsdestoweniger sollte man lernen, daß das Geheimnis der Kraft nicht darin beruht, daß man seine Augen schließt.)
Dazu aber kommt, daß, wenn der Kommunismus Opfer schafft, der Kapitalismus deren weit mehr zur Folge hat. Was anders sind denn die Millionen von Arbeitslosen in Friedenszeiten und die Millionen von Toten im Kriege, wenn nicht Opfer kapitalistischen Wettbewerbs. Der Kapitalismus ist ein System, das auf der Opferung von Menschen basiert, und worin die Anzahl der Opfer unentwegt zunimmt. Der Kommunismus ist ein System, in dem es, theoretisch gesehen – sobald einmal alle Menschen Kommunisten in einer klassenlosen Gesellschaft sind —, keine Opfer geben wird. Seine heutigen Opfer
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