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Ein Gott der keiner war (German Edition)

Ein Gott der keiner war (German Edition)

Titel: Ein Gott der keiner war (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: André Gide , Arthur Koestler , Ignazio Silone
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intellektuelle Freiheit sein mag, so mag er sich doch ebensogut die Frage vorlegen: Warum sollten eigentlich die Arbeiter Wert auf meine Freiheit legen? Das, was die Millionen von Bergarbeitern und Industriearbeitern, Bauern und Siedler verlangen, ist nicht die Freiheit zur Entwicklung ihrer Individualität, sondern Frieden und Brot und anständige Lebensbedingungen. Wenn das Opfer der intellektuellen Freiheit von einigen wenigen tausend Menschen der Preis ist, der für das Brot von Millionen gezahlt werden muß, dann sollte man vielleicht die Freiheit opfern. Welchen Wert hat das individuelle Leben eines jungen Schriftstellers, der an einem Tisch im Café de Flore sitzt und über den Existentialismus redet, für einen indischen Bauern oder einen chinesischen Kuli?
    Wenn auch die Intellektuellen, wie Harry Pollitt mir gegenüber betont hatte, nicht die Arbeiter waren, so hörte doch die Diskussion recht frühzeitig auf, eine Diskussion zu sein, in der sie eine nur theoretische Rolle spielten. Ihre eigenen Interessen wurden vital vom Faschismus beeinflußt. Der Sieg Hitlers im Jahre 1933 bedeutete die Niederlage der intellektuellen Freiheit in Deutschland und war eine Bedrohung der Freiheit auf der ganzen Welt. Er machte die Juden und die Intellektuellen durch die bloße Tatsache, daß sie Juden und Intellektuelle waren, zu politischen Mächten. Bedroht war die Freiheit der rassischen Minderheiten, der Wissenschaftler, wenn sie zur Entwicklung von Schlüssen kommen wollten, ohne dabei Rücksicht auf politische Umstände nehmen zu müssen, die Freiheit des Dichters und Malers, Beobachtungen anzustellen und ihr innerstes Erlebnis schöpferisch zu gestalten. Zu dieser Zeit sah ich russische Filme wie „Die Erde", „Potemkin", „Die Mutter", „Turksib", „Zehn Tage, die die Welt erschütterten", „Der Weg ins Leben", die in die Reihe der erregendsten schöpferischen Kunstwerke des zwanzigsten Jahrhunderts zu gehören schienen. Ich las Bücher und Artikel von Maurice Hindus, Louis Fischer und anderen, die begeistert den großen, in der Sowjetunion gemachten sozialen Fortschritt priesen. Kritik, die ich über Rußland las und zuerst glaubte, erwies sich oft später als antisowjetische Propaganda. Die Bekanntmachung der Sowjetverfassung schien die Hoffnung zu vergrößern, daß eine Km größerer Freiheit in Rußland kommen werde.
    Heute, wenn ich diese Zeilen schreibe, haben sie einen ironischen Beigeschmack, weil die Stalinisten heute die gleiche Bedrohung für die intellektuelle Freiheit darstellen, wie es die Anhänger Hitlers 1933 taten. Doch zu der Zeit, von der ich schreibe, war dies noch nicht sichtbar. Bis zur Ermordung Kirows schien es wahrscheinlich, daß Rußland im Begriff sei, eine erhöhte intellektuelle Freiheit zu erreichen. Aufregende Experimente auf dem Gebiet des Theaters, des Films und der Musik wurden veranstaltet. Obwohl die Leute, die Rußland durch die Einrichtungen der Intourist aufsuchten, geführt und gelenkt wurden, so war doch Rußland nicht von der übrigen Welt abgeschlossen. Die fanatische Propaganda, die von den Gegenrevolutionären gemacht wurde, half im ganzen gesehen Rußland sehr viel, indem sie einen dichten Nebel von Vorurteilen schuf, in dem es für einen unparteiischen Beobachter unmöglich wurde, das für wahr hinzunehmen, was gegen Rußland gesagt wurde. (Nebenbei bemerkt: ich weise darauf hin, daß sich die antikommunistische Propaganda als die zuverlässigste und beste Propaganda erwiesen hat, die auf lange Sicht betrachtet seit der Revolution zugunsten Stalins gearbeitet hat.)
    Auf diese Weise waren die Juden und Intellektuellen, die „Angestellten", deren intellektuelle Ausbildung sie von sektiererischen Leidenschaften trennte, gezwungen, sich nach Verbündeten umzusehen. Enttäuscht von den Führern der Demokratie wandten sie sich der Arbeiterbewegung zu. Sie wogen die Übelstände der Massenarbeitslosigkeit, des Faschismus und des Krieges gegen die Übelstände des Kommunismus ab und hofften, daß der Kommunismus zum mindesten eine Aussicht böte, daß diese Dinge aufhörten. Sogar ein Liberaler wie E. M. Forster schrieb damals, daß der Kommunismus die einzige politische Überzeugung sei, die noch Hoffnung für die Zukunft böte, wenn er auch hinzusetzte, daß er selber kein Kommunist werden würde. Bald wurde das intellektuelle Leben der Jahre nach 1930 zu einer Diskussion über Zwecke und Methoden.
    Die Intellektuellen, die in diese quälende Auseinandersetzung

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