Ein Gott der keiner war (German Edition)
sind nicht die Opfer des Kommunismus, sondern die der Revolution. Sobald die Revolution erfolgreich beendet ist und die Diktatur des Proletariats sich aufgelöst hat, dann wird die Anzahl der Opfer nachlassen. Denn der Kommunismus braucht keine ausgebeuteten Klassenmenschen. Er braucht nur die Mitarbeit aller Menschen, um eine bessere Welt zu schaffen. Während der ersten Jahre nach 1930 pflegte ich mit mir selber auf diese Weise zu argumentieren. Meine Argumente wurden noch durch Schuldgefühle verstärkt sowie durch den Argwohn, daß der Wesensteil in mir, der die Opfer der Revolution bemitleidete, eigentlich im geheimen die übel des Kapitalismus unterstützte, von denen ich selber profitierte.
Die Samenkörner, die Chalmers meinem Denken eingepflanzt hatte, waren seine Verurteilung des. Völkerbundes und die Kritik, die er hatte durchblicken lassen, als er sagte, daß ich ein Jünger Gandhis sei.
Er überließ es mir, während der kommenden Monate darüber nachzudenken, daß sämtliche staatlichen und viele private und persönliche Handlungen in zwei Kategorien zerfielen nämlich diejenigen, die für, und diejenigen, die gegen die Revolution gerichtet seien. Subjektive Motive änderten nichts an der objektiven Tendenz der Handlungen. Nach diesem Prinzip würde also jemand, der inmitten der Armen arbeitet und den ernsthaften Wunsch hat, ihr Los zu verbessern, objektiv gesehen gegen die Arbeiter handeln, wenn er die Menschen, denen er Gutes tat, mit der kapitalistischen Welt versöhnte. Tatsächlich sind dann der arme Geistliche und die Wohlfahrtsbeamten von East End Agenten der Reichen.
Ich sah nunmehr, daß ein Land eventuell von führenden Männern regiert werden kann, die sich aufrichtig für Sozialisten halten und doch nicht willens sind, die rücksichtslosen Methoden der Revolution in Anwendung zu bringen. Es konnte sich sogar für sie die Situation ergeben, daß ihr Sozialismus von Kapitalisten bedroht würde, die sogar bereit sind, den Kredit des eigenen Landes im Ausland zu zerstören in der Hoffnung, durch diese Handlungsweise gleichzeitig den Kredit der sozialistischen Regierung zu zerstören. In einer solchen Lage würde also die sozialistische Regierung entweder die Forderungen der Kapitalisten erfüllen müssen oder rücksichtslose Maßnahmen ergreifen müssen, um den Kapitalismus zu zerstören.
Ereignisse, die sich in den Jahren nach 1930 abspielten, zeigten, daß die Sozialdemokraten Braun und Severing in Preußen und Ramsay MacDonald in England, als sie vor dieser Wahl standen, es ablehnten, der Aufforderung zu einer Revolution zu folgen. Sie gingen entweder zur anderen Seite über oder dankten ab.
Ich unterwarf meine eigene Person der gleichen gründlichen Analyse, die ich, gegenüber den amtlichen Sozialisten anwandte. Was wollte ich eigentlich wirklich? Schwelgte ich nicht nur in dem Genuß einer für mich schmeichelhaften scheinbaren Forderung, die ich mir auf Grund meiner gesellschaftlichen Position leistet; daß ich wünschte, es solle allen anderen ebenso gut gehen wie mir? War ich bereit, eine sozialistische Welt anzuerkennen – doch unter der Bedingung, daß ich eines Tages jählings aufwachte, um festzustellen, daß sie mühelos gelungen sei? Oder war ich bereit, die Maßnahmen zu unterstützen, die diesen Ausgang herbeiführen würden? War ich imstande, ein Übergangsstadium der Gesellschaft hinzunehmen, das recht unbequem, ja selbst schlimmer vielleicht als der Kapitalismus sein würde und eine lange, schwere Zeit andauern würde, die sehr verschieden von dem Ziel war, das die Sozialisten ersehnten? Und wenn ich die Maßnahmen, die den Sozialismus herbeiführen würden, nicht akzeptieren konnte, waren dann meine Ansichten etwas anderes als ein selbstbetrügerischer Traum, mit dem ich mich selber bemitleidete und mich selber rechtfertigte? Der Sozialismus von heute war nicht der Weltbund sozialistischer Staaten. Er war das Mittel, gleichviel wie unangenehm es sein mochte, das diesen Ausgang zustande bringen würde.
Als ich mir selber diese Fragen vorlegte, mußte ich zugeben, daß das, was ich wirklich wünschte, darauf hinausging, daß andere so leben sollten wie ich, und nicht, daß ich mich den Arbeitern anschloß: eine Vorstellung, die mir Unbehagen bereitete. Ich konnte kaum den Gedanken ertragen, die Unabhängigkeit verlieren zu sollen, die ich meiner Stellung in der bürgerlichen Gesellschaft verdankte. Durch eine stark angestrengte intellektuelle Einbildungskraft hatte ich
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