Ein Gott der keiner war (German Edition)
Namen und Adressen fand. Teilweise waren diese Leute durch Spione und Provokateure denunziert oder durch die Aussagen der schon vor ihnen Verhafteten belastet worden, die den Drohungen und Foltern nicht hatten widerstehen können.
In den anderen Städten und Provinzen sah es ganz ähnlich aus. Den noch erscheinenden Zeitungen – die Blätter der Opposition waren gerade um diese Zeit verboten worden – hatte man untersagt, über die Verhaftungen zu berichten. Sie mußten statt dessen die Lobreden auf die italienische Diktatur veröffentlichen, die ausgerechnet damals von bedeutenden Vertretern der Demokratie und des Liberalismus in anderen Ländern gehalten wurden. Aber die Nachrichten der drei oder vier Parteikuriere, die in den wichtigsten Abschnitten die Briefe der einzelnen Vertrauensleute einsammelten und zu den geheimen Zentralbüros brachten, ließen uns nicht über die Absicht der Diktatur im Zweifel, ein für allemal jede Spur des Widerstandes auszurotten. Nur die Kommunisten verfügten noch über eine einigermaßen wirksame Geheimorganisation. Doch hatten die Razzien der Polizei unser Verbindungsnetz bereits in mehreren Provinzen zerstört Zahlreiche Genossen, die der Haft entgangen waren, verlangten von uns eine dauerhafte Zuflucht außerhalb ihrer Heimatstadt und falsche Papiere, um herumreisen und sich eine neue Aufgabe suchen zu können.
Wer von uns schon länger mit falschen Papieren gelebt und seinen Widerstandskampf hinter einem harmlosen und alltäglichen Äußeren verborgen hatte, befand sich damals in einer zweifellos vorteilhafteren Lage. Aber auch er war keineswegs sicher, denn es bestand jederzeit die Möglichkeit, daß einer der Verhafteten zum Verräter wurde oder aus Leichtfertigkeit der Polizei Hinweise gab, die auf die Spuren der anderen führten. So erhielt auch ich an jenem Abend plötzlich eine Warnung, nicht nach Hause zu gehen, weil meine Wohnung von Polizisten umstellt zu sein schien. Zusammen mit einigen anderen Genossen, die in derselben Lage waren, fand ich dann in der Landvilla des vorgeblichen Malers einen vorläufigen Zufluchtsort. Nachdem wir einen Aufpasser in die Nähe des Hauses gestellt und verabredet hatten, wie wir uns im Falle einer überraschenden Razzia verhalten sollten, richteten wir uns, da die Villa unvollkommen möbliert war und nur über ein einziges Bett verfügte, notdürftig auf Stühlen zur Nachtruhe ein. Außer dem falschen Maler und seiner Frau hatten wir noch einen falschen spanischen Touristen, einen falschen Dentisten, einen falschen Architekten und eine junge Deutsche bei uns, die sich als Studentin ausgab. Wir kannten uns bereits seit mehreren Jahren, doch hatten sich unsere Beziehungen bis zu diesem Tage auf eine völlig unpersönliche Zusammenarbeit in den verschiedenen Zweigen der Widerstandsorganisation beschränkt. Wir hatten weder Zeit noch Gelegenheit gehabt, Freundschaft zu schließen. Allerdings war jeder über Herkunft und Familienumstände des anderen informiert, da diesen Dingen bei dem schwierigen Leben in der Illegalität große Bedeutung zukommen kann. Warum ist nun die zufällige Begegnung jenes Abends so stark in meiner Erinnerung haften geblieben?
Der Dentist sprach als erster: „Heute nachmittag kam ich an der ‚Scala' vorbei. Vor der Kasse stand eine lange Schlange Menschen, die Karten für das nächste Konzert kaufen wollten. Ich blieb einen Augenblick stehen, um sie zu beobachten. Sie kamen mir vollkommen wahnsinnig vor."
„Wieso?" fragte der spanische Tourist. „Ist die Musik in deinen Augen Wahnsinn?"
„In normalen Zeiten nicht", räumte der Dentist ein. „Aber wie kann einem in diesen Zeiten die Musik Zerstreuung bieten? Dazu muß man ja wahnsinnig sein."
„Musik ist nicht nur eine Angelegenheit der Zerstreuung", bemerkte der spanische Tourist.
„Wenn diese Musikenthusiasten uns jetzt sehen könnten und erführen, was wir sind und was wir treiben", setzte der Maler hinzu, „würden sie uns höchstwahrscheinlich für verrückt erklären. Es läßt sich nur sehr schwer entscheiden, wer wirklich die Verrückten sind. Vielleicht ist das eine der schwierigsten Fragen." Die Unterhaltung hatte allmählich einen Ton angenommen, der dem Dentisten nicht mehr zu gefallen schien. „Man kann nicht Leben und Freiheit riskieren", erwiderte er streng, „und dann so vernünftig daherreden, als ob man außerhalb des Kampfes stehe."
„Nun", erwiderte der Maler, „man kann sich ins Schlachtgetümmel stürzen, man kann
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