Ein Gott der keiner war (German Edition)
Fußtritte und Faustschläge an den Gegner austeilen, aber man muß nicht unbedingt mit dem Kopf zuerst auf ihn losgehen. Ist es nicht besser, sich seinen Kopf für andere Zwecke aufzuheben?"
„Ist unser Kampf nicht auch ein ideologischer?" fragte der spanische Tourist. „Braucht man nicht auch seinen Kopf dazu?"
„Mein Kopf macht auch mit, gewiß, aber nicht meine Augen", erklärte der Maler lächelnd. „Mit anderen Worten", fügte er hinzu, „ich möchte die Dinge weiterhin mit meinen eigenen Augen betrachten."
„Das verstehe ich nicht", erklärte der Dentist. „Mir scheint, daß eine so zurückhaltende Beteiligung in gar keinem Verhältnis zu dem Risiko steht, das man bei uns eingeht."
Ein verlegenes Schweigen entstand. Wir sahen durch die Fenster drei mit Soldaten beladene Lastautos auf der Straße vorbeifahren. Unsere Gastgeberin ließ die Jalousien herunter und bot uns ausgezeichneten Kaffee an.
„In unserem Zeitalter führen alle Wege zum Kommunismus", sagte der spanische Tourist, um die Genossen wieder auszusöhnen. „Nicht alle können auf dieselbe Art Kommunisten sein."
„Ich habe mein Leben für die proletarische Revolution eingesetzt”, erklärte der Maler. „Wenn ich meine Augen dabei ausgenommen habe, so nur, um zuschauen zu können, was mit meinem Leben geschieht. Das Leben selber habe ich bereits aufs Spiel gesetzt, so wie eine mir teure Schulkameradin—um mich noch klarer auszudrücken— Nonne geworden ist, um ihr Leben dein Paradies zu weihen. Dem himmlischen Paradies, sollte ich wohl hinzufügen, damit wir es nicht mit unserem verwechseln. Ich kann euch versichern, daß ich mein Versprechen halten werde. Warum sollte ich es nicht halten? Niemand hat das Recht, an meiner Ehre zu zweifeln."
„Aber die proletarische Revolution ist schließlich keine Lotterie", bemerkte hartnäckig der Dentist.
„Ich weiß", erwiderte der Maler, „daß ich das Spiel nicht durch Glück, sondern nur durch die Geschicklichkeit und Kraft der Spieler und all die Dinge, von denen man in den Handbüchern unserer Parteischulen liest, gewinnen kann. Und deshalb nehme ich daran nicht nur als Wettender, sondern auch als Spieler teil. Als ein Spieler, der ganz und gar mit von der Partie ist und sich selbst als Einsatz gesetzt hat. Ganz und gar, wiederhole ich, mit Ausnahme der Augen."
„Das verstehe ich nicht", sagte der Dentist.
„Mit anderen Worten, ich weigere mich, mir die Augen zu verbinden", schloß der Maler. „Ich werde alles machen, was man von mir verlangt, aber mit offenen Augen."
„Gut", sagte der spanische Tourist. „Aber ich frage mich, ob dich deine Wette nicht mehr interessiert als das übrige. Entschuldige die Frage, aber hättest du dich unter anderen Umständen auch für etwas ganz anderes einsetzen können, für was weiß ich, für den Krieg, für die Erforschung des Südpols, für die Betreuung der Aussätzigen, für Mädchenhandel oder für Falschmünzerei?"
„Warum nicht?" antwortete der andere lächelnd. „Aber wahrscheinlich würde ich auch in jedem anderen Beruf versucht haben, meine Augen offenzuhalten. Ich würde versucht haben, die Dinge zu begreifen."
„Zum Kommunisten wird man geboren", erklärte das deutsche Mädchen.
„Mensch dagegen muß man erst werden", ergänzte der Maler.
„Nun gut", erwiderte ihm der Dentist, „kann man erfahren, welche
Umstände dich veranlaßt haben, auf den Kommunismus zu setzen?" „Ach, das würde eine lange Geschichte geben", antwortete der andere ernst. „Und um ganz aufrichtig zu sein: einiges würde euch unbegreiflich bleiben."
Das deutsche Mädchen war hartnäckig: „Erzähle uns deine lange, unbegreifliche Geschichte. Wir werden so lange Kaffee trinken und wach bleiben, um dir zuzuhören."
„Und werdet auch ihr eure Geschichte erzählen?" fragte uns lächelnd der Maler.
„Einverstanden", sagte der Dentist. „Wir werden Kaffee trinken und wach bleiben."
„Überlegt es euch gut", warnte der Maler. „Vielleicht ist es für euch gefährlich, rückwärts zu blicken. Vielleicht ist es für jeden gefährlich, auch für mich, noch während des Kampfes nach dem Wie und Warum zu fragen, die Vergangenheit einer Prüfung zu unterziehen. Wenn einmal gesetzt worden ist und das Spiel begonnen hat, kann man nichts mehr daran ändern – rien ne va plus . Wer auf den Ball geht, muß tanzen."
„Aber kann man denn den Kampf von seinen Ursachen trennen?" fragte der spanische Tourist. „Ist es so gefährlich, sich der Motive zu
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