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Ein Gott der keiner war (German Edition)

Ein Gott der keiner war (German Edition)

Titel: Ein Gott der keiner war (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: André Gide , Arthur Koestler , Ignazio Silone
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bedeutungsschwerem Schweigen verharrten. Es hatte dazu nicht einmal eines Parteibefehls bedurft; die Reaktion auf jene fatalen Gemeinplätze war prompt und spontan. Es war genau, als ob ich vor einer nationalsozialistischen Zuhörerschaft gesagt hätte, daß alle Menschen ungeachtet ihrer Rasse und ihres Glaubens mit gleichen Rechten geboren seien.
    Einige Tage später erklärte ich dem Zentralkomitee schriftlich meinen Austritt aus der Partei.
     
     
    Unerschütterte Grundlagen?
     
    Hiermit wäre die zweite Gelegenheit gegeben, diese Aufzeichnungen zu beenden, aber es ist noch ein weiterer Nachtrag zu machen. Mein Schreiben war ein Abschiedsbrief an die KPD, die Komintern und das Regime Djugaschwilis – aber es schloß mit einer Loyalitätserklärung an die Sowjetunion. Ich gab meiner Opposition gegenüber dem Regime, dem Krebsschaden der Bürokratie und der Unterdrückung der bürgerlichen Freiheiten Ausdruck, bekannte jedoch meinen Glauben, daß die Grundlagen des Arbeiter- und Bauernstaates nicht erschüttert seien, daß die Verstaatlichung der Produktionsmittel eine Garantie für die endliche Rückkehr auf den Weg des Sozialismus biete und daß die Sowjetunion – trotz allem – noch immer unsere letzte und einzige Hoffnung „auf einem in schnellem Verfall begriffenen Planeten darstelle".
    Das Seil war gerissen, aber darunter gab es eben noch ein Sicherheitsnetz, in dem ich nun eine sehr gemischte Gesellschaft vorfand – alte Partei-Akrobaten, die ihr dialektisches Gleichgewicht verloren hatten, Trotzkisten, Veteranen von der Rechts- und Links-Opposition, abgehängte Mitläufer und andere mehr, die sich dort in den verschiedensten Verrenkungen wanden. Wir fühlten uns in diesem Niemandsland recht unbehaglich, aber wir brauchten uns wenigstens nicht als gänzlich gefallene Engel anzusehen. Dieser Schwebezustand dauerte für mich bis zu dem Tag, an dem zu Ehren Ribbentrops die Hakenkreuzfahne auf dem Moskauer Flugplatz gehißt wurde und die Kapelle der Roten Armee das Horst-Wessel-Lied anstimmte. Damit war es Schluß; von nun an war es mir wirklich egal, ob mich die neuen Verbündeten Hitlers einen Konterrevolutionär schimpften.
    Ich habe an anderer Stelle den Trugschluß von der „unerschütterten Grundlage des Arbeiterstaates" aufzudecken versuchte – den Irrglauben, daß eine staatskapitalistische Wirtschaft notwendigerweise zum Sozialismus führen müsse. [9] Ich will meine Argumente hier nicht wiederholen; ich habe diesen Epilog zu meiner Parteilaufbahn nur deshalb erwähnt, weil diese verzweifelten Versuche, mich noch an die letzten Fetzen der verlorenen Illusionen zu klammern, typisch waren für die geistige Feigheit, die auch heute noch auf der Linken herrscht. Die Sucht nach dem Sowjetmythos ist ebenso zäh und läßt sich ebenso schwer heilen wie jede andere Hörigkeit.
    Sieben Jahre lang diente ich der Kommunistischen Partei – genau so lange, wie Jakob einst die Schafe Labans hütete, um dessen Tochter Rachel zu gewinnen. Als die Zeit um war, führte man die Braut in sein dunkles Zelt; und erst am nächsten Morgen machte er die Entdeckung, daß seine Leidenschaft nicht der lieblichen Radiel, sondern der häßlichen Leah gegolten hatte. Ob er wohl je den Schock überwunden hat, mit einer Illusion geschlafen zu haben? Und ob sich das fröhliche Ende der Legende wohl noch einmal wiederholen wird? Denn um den Preis weiterer sieben Jahre Arbeit gewann der Jakob der Bibel doch noch seine Radiel, und die Illusion wurde Wirklichkeit Und die sieben Jahre schienen ihm wie ein Tag, angesichts der Liebe, die er für sie empfand.

IGNAZIO SILONE
     
     
     
     
     
    1
     
    An einem Novemberabend, gleich nach der Verkündung der „Ausnahmegesetze", hatten wir uns in eine Vorstadtvilla in Mailand geflüchtet, die seit kurzem von einem unserer Genossen bewohnt wurde, der sich als Maler ausgab. Auf diese Weise konnten wir uns der Verhaftung entziehen. In den Arbeitervierteln waren die Straßen verlassen, die Wirtshäuser geschlossen oder so gut wie leer, die Straßendunkel – was die düstere Atmosphäre der feuchtkalten Jahreszeit noch unheimlicher erscheinen ließ. Nur die Polizei war auf den Beinen. Sie unternahm eine Reihe unverhoffter Razzien, bei denen die verdächtigen Arbeiterviertel felddienstmäßig umzingelt und gründlichst durchsucht wurden, als seien es feindliche Festungen. Obwohl die Zahl der Verhafteten schon recht hoch war, nahm sie noch immer zu, da man bei den Haussuchungen viele neue

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