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Ein Gott der keiner war (German Edition)

Ein Gott der keiner war (German Edition)

Titel: Ein Gott der keiner war (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: André Gide , Arthur Koestler , Ignazio Silone
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erinnern, die uns zum Kommunismus geführt haben?"
    „Die Nacht ist lang", entgegnete das deutsche Mädchen. „Erzählen wir uns unsere unbegreiflichen Geschichten. Trinken wir Kaffee und bleiben wir wach."
    So verbrachten wir die Nacht mit dem Versuch, uns gegenseitig zu erklären, wie und warum wir Kommunisten geworden waren. Unsere Erklärungen waren alles andere als erschöpfend, aber am Morgen waren wir Freunde geworden. „Es ist wahr", sagten wir uns beim Abschied, „man kann aus jeder erdenklichen Richtung zum Kommunismus stoßen."
    Im darauffolgenden Jahr wurde der angebliche Dentist verhaftet; obwohl er gefoltert wurde, weigerte er sich, seine Mitarbeiter zu denunzieren, und starb im Gefängnis. Der angebliche Maler erfüllte weiterhin seine politische Pflicht, bis zur Niederlage des Faschismus und zum Ende des Krieges. Dann zog er sich anscheinend ins Privatleben zurück. Von dem Mädchen haben wir nie wieder etwas gehört.
    Ich mußte später oft an die intimen Lebensumstände denken, die wir uns bei jener Begegnung erzählten. Denn ich wollte alles begreifen, mir Rechenschaft ablegen und meine Handlungen mit ihren ursprünglichen Motiven vergleichen. Dieses Bedürfnis hatte mit aller Gewalt von mir Besitz ergriffen und ließ mir keine Ruhe mehr.
    Wenn mein bescheidenes literarisches Werk überhaupt irgendeinen Sinn hat, so besteht er nach reiflicher Überlegung in folgendem: Es gab eine Zeit, in der die schriftstellerische Tätigkeit für mich die absolute Notwendigkeit bedeutete, Zeugnis abzulegen, das dringende Bedürfnis, mich von einem quälenden Gedanken zu befreien, Sinn und Grenzen eines schmerzhaften, aber endgültigen Bruches und einer daran anschließenden größeren Loyalität zu bestätigen. Das Schreiben ist für mich, außer in einigen besonders begnadeten Augenblicken, kein heiterer ästhetischer Genuß gewesen und konnte es auch nicht sein. Es blieb die mühselige und einsame Fortsetzung eines Kampfes. . Allerdings sind die Schwierigkeiten und Schwächen des Ausdrucks, mit denen ich manchmal zu ringen habe, nicht so sehr darauf zurückzuführen, daß ich die Regeln des guten Stils unbeachtet ließe. Ihre Ursache liegt vielmehr in meinem Gewissen, das sich bemüht, einige verborgene, vielleicht sogar unheilbare Wunden vernarben zu lassen und dabei doch hartnäckig seine Integrität zu bewahren sucht. Denn um wahrhaftig zu sein genügt es offenbar nicht, aufrichtig zu sein.
     
     
    2
     
    Zum Gründungskongreß der Kommunistischen Partei Italiens (in Livorno im Jahre 1921) brachte ich die Anhängerschaft des größten Teils der Sozialistischen Jugend mit, der ich seit 1919 angehörte. Die Sozialistische Jugend hatte seit dem Kriege eine so entschieden ablehnende Haltung gegenüber der revisionistischen Sozialdemokratie eingenommen, daß dieser Übertritt weiter keine Überraschung hervorrief.
    Es war nicht leicht, den Gefährten jener Novembernacht in Mailand zu erklären, warum ich mit 17 Jahren, als ich noch Gymnasiast war, mich zum Sozialismus Zimmerwalds bekannt hatte. Ich mußte in meiner Erinnerung Schritt um Schritt bis auf das Jünglingsalter zurückgehen und sogar einige Episoden aus meiner Kindheit erwähnen. Denn damals schon entstanden die Voraussetzungen für mein Urteil über die Gesellschaft, das später, als es Form annahm und politische Tragweite bekam, notwendigerweise radikal ausfallen mußte. Ohne schwerwiegende Gründe tritt man nicht mit 18 Jahren und während eines Krieges einer revolutionären, von der Regierung verfolgten Bewegung bei.
    Ich bin in einer Gebirgsgegend Süditaliens aufgewachsen. Was mich, sobald ich begann, meinen Verstand zu gebrauchen, am meisten beeindruckte, war der schreiende Kontrast zwischen der privaten Sphäre, dem Familienleben, das vorwiegend sittsam, ernsthaft und ehrbar war, und den sozialen Verhältnissen, die von Roheit, Haß und Betrug strotzten. Es war ein unbegreiflicher, absurder und scheußlicher Kontrast. Es gibt zahlreiche entsetzenerregende Schilderungen des Elends und der Verzweiflung in den südlichen Provinzen Italiens – einige aus meiner Feder – ich meine jedoch hier nicht die Ereignisse, die Aufsehen erregt haben, sondern will von den kleinen, bescheidenen und banalen Vorfällen des täglichen Lebens sprechen. In ihnen zeigt sich die seltsame Zwiespältigkeit der Menschen, unter denen ich aufgewachsen bin, eine Zwiespältigkeit, deren Anblick in mir einen der geheimen Angstkomplexe meiner Jugend hervorgerufen

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