Ein Gott der keiner war (German Edition)
erarbeitet"
„Ich weiß nicht recht", sagte er zur Seite blickend.
„Wie meinst du das?" fragte ich. „Was ist daran nicht in Ordnung?"
„Wem hast du dieses Material gezeigt?"
„Bisher noch niemandem."
Was bedeuteten seine Fragen? Naiverweise dachte ich, daß er selber ein gutes Modell für eine biographische Skizze abgeben würde.
„Ich würde dich gern als Nächsten interviewen", sagte ich.
„Ich bin nicht interessiert", schnauzte er.
Sein Benehmen war derart schroff, daß ich ihn nicht weiter drängte. Er rief Ross hinüber in ein Hinterzimmer. Ich saß da mit dem Gefühl, irgend etwas verbrochen zu haben. Nach ein paar Minuten kam Ed Green wieder zurück, starrte mich stumm an und polterte dann hinaus.
„Für was hält der sich eigentlich?" fragte ich Ross.
„Er ist Mitglied des Zentralkomitees."
„Aber warum benimmt er sich so?"
„Ach, so ist er immer", sagte Ross verlegen.
Es folgte ein langes Schweigen.
„Er überlegt sich, was du mit diesem Material machst", sagte Ross schließlich.
Ich blickte ihn an. Auch er war vom Mißtrauen gepackt worden. Er bemühte sich, die Angst in seinem Gesicht nicht zu verraten.
„Du brauchst mir nichts zu erzählen, was du nicht erzählen willst", sagte ich.
Das schien ihn für einen Augenblick wieder zu beruhigen. Aber der Zweifel hatte bereits in ihm Wurzel geschlagen. Mir wurde schwindlig. War ich verrückt? Oder waren diese Leute verrückt?
„Sieh mal, Dick", sagte Ross' Frau, „Ross steht unter Anklage. Ed Green ist der Vertreter für die internationalen Arbeiterrechte hier bei uns im Südbezirk. Es ist seine Pflicht, sich genau auf dem laufenden zu halten bei allen denen, die er zu verteidigen sucht. Er wollte wissen, ob Ross dir irgend etwas gesagt hat, was man vor Gericht gegen ihn ausnutzen könnte."
Es verschlug mir die Sprache.
„Wofür hält er mich denn?" wollte ich wissen.
Keine Antwort.
„Seid ihr denn ganz und gar von Gott verlassen!" schrie ich und schlug mit der Faust auf den Tisch.
Ross war erschüttert und schämte sich. „Och, Ed Green ist eben übervorsichtig", murmelte er.
„Ross", fragte ich, „traust du mir?"
„ 0 ja", sagte er etwas unsicher.
Wir zwei Schwarzen saßen im gleichen Raum einander gegenüber und sahen uns furchterfüllt an. Beide waren wir hungrig. Beide lebten wir von der öffentlichen Fürsorge, um essen zu können und einen Platz zum Schlafen zu haben.
Dennoch trugen wir größeres Mißtrauen im Herzen gegeneinander, als gegen die Menschen, welche unserm Leben diese Form gegeben hatten.
Ich fuhr fort, mir über das Leben von Ross Notizen zu machen, aber er wurde von Tag zu Tag zurückhaltender. Er tat mir leid, und ich redete nicht auf ihn ein, weil ich wußte, daß keine Überredung seine Befürchtungen beseitigen würden. So saß ich nun da und hörte zu, wenn er und seine Freunde von ihren Erfahrungen als Neger im Süden berichteten, machte mir im Geiste Notizen und wagte nicht, Fragen zu stellen, aus Angst, sie in Unruhe zu versetzen.
Trotz all ihrer Besorgnisse bekam ich einen tiefen Einblick in jede Einzelheit ihres Lebens. Ich gab den Gedanken an biographische Skizzen auf und entschied mich schließlich dazu, eine Serie von Kurzgeschichten zu schreiben, in denen ich das Material, das ich von Ross und seinen Freunden erhalten hatte, verwenden wollte, indem ich darauf aufbaute und es dichterisch verarbeitete. So flocht ich eine Geschichte daraus von einer Gruppe Schwarzer, die widerrechtlich das Grundstück eines weißen Mannes betreten hatten, und von der Lynchjustiz, die darauf folgte. Die Erzählung wurde in einer Anthologie unter dem Titel Big Boy Leaves Home veröffentlicht, aber sie erschien zu spät, um noch einen Einfluß auf jene Kommunisten auszuüben, die an dem Zweck meiner biographischen Notizen Zweifel hatten.
Die mir zeitweilig von der Arbeitslosenhilfe nachgewiesene Beschäftigung hörte auf, und ich sah mich nach anderer Arbeit um. Da ich keine Arbeit fand, borgte ich mir Geld, um in Angelegenheiten des Klubs in der Stadt herumfahren zu können. Ich fand ein enges Dachstübchen für meine Mutter, meine Tante und meinen Bruder hinter irgendwelchen Bahngeleisen. Endlich brachte mich die Arbeitslosenhilfe in einem Jungenklub im Südbezirk unter, und mein Gehalt war eben groß genug, um meiner Familie den notdürftigsten Lebensunterhalt zu sichern.
Dann tauchten politische Probleme auf, die mich quälten. Ross, dessen Leben ich hatte beschreiben wollen, wurde von der
Weitere Kostenlose Bücher