Ein guter Blick fürs Böse
Nische an der Seite des Ladens, neben den Schaufenstern. Sie war stark verwittert und benötigte dringend einen neuen Anstrich. Als wir hingingen, um sie näher in Augenschein zu nehmen, fanden wir wenig fachmännisch beschriftete kleine Namensschildchen: H. Jenkins, privater Ermittlungsagent – 1. Etage . Außerdem befanden sich auf der 1. Etage S. Baggins, Taxidermist , und auf der 2. Etage das Geschäft von Miss R. Poole, Hutmacherin.
Ich drückte probehalber gegen die Tür, und sie öffnete sich in ein dunkles Treppenhaus mit nackten Holzstufen.
»Komm, Bessie«, ermutigte ich unser Mädchen, und wir traten ein.
Wie erwartet fanden wir uns in der ersten Etage in einem staubigen, dunklen Korridor wieder. Zwei Türen gingen nach rechts ab, eine dritte war uns zugewandt am Ende des Gangs. An der ersten Tür zu unserer Rechten hing ein Schild mit der Aufschrift H. JENKINS, DETEKTIVAGENTUR in fetten Großbuchstaben. Es gab keine Glocke, also klopfte ich laut, und nach einem kurzen Augenblick vernahmen wir auf der anderen Seite Bewegung, und die Tür öffnete sich.
Der Mann, der uns nun gegenüberstand, war in mittlerem Alter, mit ergrauenden Locken, grobschlächtigen Gesichtszügen und kleinen dunklen Augen. Seine Jacke glänzte bereits, so abgewetzt war sie, und die Hose sah nicht allzu sauber aus. Auf seiner Hemdenbrust waren Krümel. Ich wollte gerade zum Reden ansetzen und fragen, ob er Jenkins wäre, als er mir zuvorkam.
»Wenn das nicht Mrs. Ross ist?«, sagte er und verzog die Lippen zu einem breiten Grinsen, das nicht bis zu den Augen reichte. »Wie schön, dass Sie meine Einladung angenommen haben. Warum kommen Sie nicht in mein Büro?«
Ich spürte Bessies warnenden Stoß sogar durch das Korsett hindurch. Ich ignorierte sie und trat hoch erhobenen Hauptes ein. Meine Stiefel klapperten auf dem nackten Dielenboden. Bessie folgte mir mit einem lauten Seufzer.
Gleich hinter der Tür stand – wie ein Diener, der nur darauf wartete, uns anzukündigen – einer von jenen Garderobenständern, die aussehen wie Bäume mit nach innen geschwungenen Ästen. Nichts hing an den kahlen Armen bis auf einen rostigen schwarzen Schirm und einen dazu passenden Bowlerhut. Der Rest des »Büros« war genauso wenig beeindruckend. Ein großer Schreibtisch mit einer Platte voller Tintenflecke hatte vor langer Zeit bessere Tage gesehen. Hinter dem Schreibtisch und der Tür zugewandt stand ein Sessel. Vor dem Schreibtisch und mit dem Rücken zur Tür gab es zwei Besuchersessel. Auf dem Schreibtisch lagen ein Stapel billiges Notizpapier sowie dazu passende Schreibutensilien, doch nichts deutete auf Arbeit hin. Stattdessen ließ die zusammengefaltete Ausgabe einer Sportzeitung Rückschlüsse darauf zu, wie Mr. Jenkins seinen bisherigen Vormittag verbracht hatte. In einer Ecke des Raums stand ein großer geflochtener Wäschekorb mit Deckel. Eine andere Ecke war durch einen Vorhang abgetrennt, und ich vermutete, dass Jenkins dort sein Bett stehen hatte. Das private Ermittlungsgeschäft schien nicht besonders gut zu gehen. In der Luft hing ein schwacher Geruch nach Zigarettenrauch und schalem Bier.
»Setzen Sie sich, Ladies«, sagte Mr. Jenkins einladend und deutete mit breiter, haariger Hand auf die beiden Besuchersessel. »Fühlen Sie sich wie zu Hause.«
Ich setzte mich, und nach einigem Zögern folgte Bessie meinem Beispiel. Sie musterte unsere Umgebung unablässig, und ihre herabhängenden Mundwinkel ließen keinen Zweifel an ihrer Meinung. Ich entschied mich stattdessen, Jenkins direkt in die Augen zu sehen.
»Möchten Sie vielleicht Tee?«, fragte er. »Ruby Poole macht ihn für uns.« Er deutete zur Decke hinauf. »Dort oben, wo sie auch ihre Hüte näht. Wenn ich einen Klienten habe, klopfe ich mit diesem Ding hier …«, er deutete auf den Hutständer in der Ecke, »… an die Decke, für jede benötigte Tasse einmal.«
»Danke sehr«, sagte ich. »Aber ich bin sicher, Miss Poole hat zu tun, und wir wollen sie nicht bei ihrer Arbeit stören.«
»Sie macht eine sehr hübsche Trauerhaube«, informierte mich Jenkins. »Sollten Sie je Bedarf für ein solches Kleidungsstück haben – was ich Ihnen selbstverständlich nicht wünsche, verstehen Sie mich nicht falsch. Sie verziert die Haube mit Federn und kleinen Satinrosen, alles in schwarz und komplett mit Schleier, sollten Sie das wünschen.«
»Mr. Jenkins!«, unterbrach ich ihn ungehalten. »Ich möchte weder Tee, noch benötige ich eine Trauerhaube
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