Ein guter Blick fürs Böse
verstorbene Duke of Kent, der Vater unserer gnädigen Königin, dort erkrankte und schließlich an den Folgen verschied, aber es gefällt mir trotzdem dort. Wo war ich stehen geblieben? Ah, richtig. Ross.«
Zu meiner Erleichterung richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf mich. Wenn das Erzählen war, so schnell er konnte, dann stand mir eine unangenehm lange Erklärung bevor. Ich wurde schon vorher ungeduldig.
»Ich bekomme nicht viel Besuch hier, wissen Sie? Die wenigen, die kommen, kommen auf meine Einladung hin. Es ist ein abgelegener Ort. Doch Anfang letzten November hielt eine Mietdroschke vor dem Haus, und ein Paar stieg aus, das ich noch nie zuvor gesehen hatte. Die beiden baten darum, das Haus besichtigen zu dürfen! Sie waren auf einer Rundreise durch Yorkshire, wie sie sagten. Ich dachte bei mir, ziemlich spät im Jahr. Es war bereits kalt geworden. Sie waren Ausländer, Franzosen. Der Mann stellte sich als Monsieur Hector Guillaume vor und die Dame als seine Schwester.
Major Griffiths schnaubte. »Ich bin ein alter Soldat, Sir. Ich bin weit herumgekommen. Sie war genauso wenig seine Schwester wie meine! Mehr noch, sie war von der Sorte, die ich, wäre sie jünger gewesen, als Wanderhure bezeichnet hätte! Sie war sehr attraktiv, keine Frage. Schöne Augen, doch der Blick darin war misstrauisch, und ihr Mund war hart. Das sind Dinge, die eine Frau von fragwürdigem Hintergrund immer verraten. Sie hielt sich vornehm. Ich nehme an, die dunkelrote Farbe ihrer Haare rührte von Henna her. Sie hatte eine Menge Haare, alle zu einer komplizierten Frisur hochgesteckt. Sie sah aus wie knapp über vierzig, wohlwollend betrachtet, aber sie war wohl eher Anfang fünfzig. Ich bin kein Experte, was die Beurteilung des Alters von Frauen angeht. Farbe und Puder vertuschen das Fortschreiten der Jahre, und diese Lady hatte reichlich von beidem aufgetragen.
Der Mann war Mitte fünfzig, würde ich sagen. Er war nicht unansehnlich, allerdings hatte er sich auf eine Weise angezogen, von der er vermutlich meinte, dass es sich so gehört, wenn man auf das Land fährt, noch dazu in England. Tweedjacke und Knickerbocker in ziemlich auffälligem Karo-Muster, dazu Duftöl im Haar, was sicherlich kein Gentleman vom Land in meinem Bekanntenkreis getan hätte! Ich weiß nicht, was in der Stadt in Mode ist dieser Tage. Aber ich weiß, dass ich keinem Kerl über den Weg traue, der sich parfümiert. Ich fand seine Art sehr …«, Griffiths suchte nach dem passenden Wort.
»Irgendetwas war nicht richtig an ihm«, schloss er. »Ich kann nicht sagen, dass er unhöflich gewesen wäre. Ich hätte andernfalls beiden sofort die Tür gewiesen. Aber nein, ganz im Gegenteil, er war äußerst höflich – viel zu höflich für meinen Geschmack. Beide lächelten ununterbrochen. Ich hätte keinem von ihnen über den Weg getraut.
Auf der anderen Seite kommen viele Ausländer wegen unseres Wassers nach Harrogate. Sie sind kein ungewohnter Anblick in unserer Gegend. Und wenn sie zu Besuch kommen, nutzen sie oftmals die Gelegenheit zu einer Rundfahrt durch Yorkshire und tauchen vor alten Landhäusern auf. The Old Hall ist zweifellos ein Blickfang. Diese beiden Reisenden hatten ihre Bitte sehr höflich vorgetragen. Und wenn es übertrieben geklungen hatte, dann vielleicht nur deswegen, weil sie nervös waren. Wie dem auch sei, ich befand mich in einer Zwickmühle. Ich wollte nicht ungastlich oder gar unfair erscheinen. Man kann schließlich nicht erwarten, dass sich ein Ausländer wie ein gut erzogener Engländer benimmt, und ich wollte nicht voreingenommen erscheinen. Also sagte ich, dass ich ihnen das Erdgeschoss gerne zeigen würde, aber nicht die oberen Etagen, und verlieh meinem Bedauern Ausdruck, dass ich ihnen nicht mehr anbieten konnte.
Sie versicherten mir, dass sie nur die unteren Räume sehen wollten, den Salon und die anderen Gesellschaftsräume. Ich hatte kein Problem damit. Aber sie stellten Fragen, das kann ich Ihnen sagen, sie fragten mir geradezu Löcher in den Bauch! Zuerst wollten sie wissen – das war ja noch einigermaßen verständlich –, wie alt das Haus war und welche Geschichte es hatte. Dann fragten sie, ob es schon lange im Besitz meiner Familie wäre. So weit, so gut. Als ich erwiderte, dass ich nur Mieter war, gaben sie ihrer nicht gelinden Überraschung Ausdruck. Im Anschluss daran wurden ihre Fragen immer spezieller und grenzten für meinen Geschmack an Unverschämtheit. Was denn mit dem Besitzer wäre? Sein
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