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Ein guter Blick fürs Böse

Ein guter Blick fürs Böse

Titel: Ein guter Blick fürs Böse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Granger
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sich nicht dazu drängen ließ, den rückgratlosen George zu heiraten. Für eine so temperamentvolle und unternehmungslustige junge Frau wäre eine Ehe mit jemandem wie George alles andere als glücklich. Thomas Tapley mochte nur wenig Zeit mit seiner Tochter gehabt haben, doch er hatte ihr einen großen Dienst erwiesen, indem er sie dazu gebracht hatte, das zu erkennen.
    Ich weiß nicht, was mich dazu bewegte, mich noch einmal umzudrehen, als wir den kleinen Park verließen. Vielleicht wollte ich mich nur überzeugen, dass Flora ins Haus zurückgekehrt war. Doch dort, unter einem Baum, stand ein Mann, den ich nicht bemerkt hatte, als ich im Park gewesen war. Er verhielt sich ganz still, und sein karierter Tweedanzug fiel in den vom Sonnenlicht zwischen Zweigen und Blättern gesprenkelten Schatten kaum auf. Ich wage zu behaupten, dass ich ihn nicht bemerkt hätte, hätte ich nicht genau den gleichen Anzug schon eine kleine Weile zuvor gesehen. Diesmal aß sein Träger keinen Apfel, sondern stand nur reglos da und beobachtete mich. Genau wie beim letzten Mal bemerkte er meinen Blick und legte grüßend die Hand an die Krempe seines Filzhutes, wobei er sich ein klein wenig verneigte.
    Ich spürte eine unwillkommene Woge Rot in meine Wangen steigen und wandte mich hastig ab. Gütiger Himmel, Mrs. Ross!, sagte ich zu mir, während ich versuchte, meine Unruhe durch Albernheit zu verdrängen. In deinem Alter, eine respektabel verheiratete Frau von bereits dreißig Jahren, und du hast allen Ernstes einen Verehrer!
    Doch ich fühlte mich nicht geschmeichelt. Nicht ein Stück.
    Wir waren noch nicht lang zu Hause angekommen, Bessie und ich, als es laut an der Haustür klopfte. Für einen langen, erschrockenen, dummen Augenblick dachte ich, der Kerl im Tweedanzug wäre mir bis zu meinem eigenen Heim gefolgt. Ich lauschte nervös, als Bessie zur Tür ging und öffnete.
    Es gab einen leisen Wortwechsel, und ich hörte Bessie irgendwann laut ausrufen: »Wie dem auch sei, Sie werden nicht mit diesen Stiefeln über meinen sauberen Boden laufen! Ziehen Sie sie gefälligst aus, und lassen Sie sie hier stehen. Sie hätten ohnehin nicht zum Vordereingang kommen sollen. Das nächste Mal gehen Sie ums Haus herum zur Küchentür!«
    Die Stimme eines jungen Mannes antwortete. Sie klang gekränkt und kam mir vage bekannt vor. »Ich bin nicht zur Küchentür gegangen, weil ich nicht hergekommen bin, um Sie zu besuchen, ja? Ich bin hergekommen, weil ich Mrs. Ross sprechen muss. Ist sie zu Hause? Wenn sie nämlich da ist, dann gehen Sie doch bitte, und holen Sie sie. Sagen Sie ihr, dass ich da bin!«
    »Sie geben mir keine Befehle!«, schnappte Bessie zurück. »Diese Uniform gibt Ihnen noch lange nicht das Recht, einfach so mit schmutzigen Stiefeln an den Füßen in ein respektables Haus hereinzuplatzen!«
    »Wer ist es denn, Bessie?«, rief ich in den Flur.
    Weiteres Rascheln und Murmeln aus der Diele, und dann öffnete sich die Tür. Bessie erschien zuerst, hochrot im Gesicht vor Entschlossenheit. Hinter ihr ragte bedrohlich eine uniformierte Gestalt auf.
    »Es ist dieser Constable Biddle, Ma’am«, berichtete Bessie. »Er wünscht Sie zu sehen!«
    »Nun, dann kommen Sie doch herein, Constable!«, forderte ich ihn auf, während ich mich aus meinem Sessel erhob, um ihn zu begrüßen. »Haben Sie mir eine Botschaft von meinem Mann gebracht?«
    Biddle schob sich entschlossen an Bessie vorbei und stand schließlich auf Socken und mit dem Helm unter dem Arm vor mir. »Jawohl, Ma’am. Inspector Ross hat eine Telegraphen-Nachricht an den Superintendent geschickt. Er kommt morgen früh nach London zurück. Er hat darum gebeten, dass jemand hier vorbeischaut und Ihnen Bescheid gibt, Ma’am. Also sagte Mr. Dunn, dass ich herkommen und Sie informieren soll.«
    »Ich danke Ihnen, Constable«, sagte ich. »Ich weiß es wirklich zu schätzen, dass Sie einen so großen Umweg in Kauf genommen haben. Ich bin sicher, Bessie wird Ihnen eine Tasse Tee bringen, nicht wahr, Bessie?«
    Bessie, die hinter ihm stand, verdrehte die Augen in meine Richtung, doch sie führte Biddle in die Küche, und einige Minuten später verriet mir leises Stimmengemurmel, hier und da durchbrochen von einem unerwarteten Kichern seitens Bessie, dass Frieden und Harmonie wieder Einkehr gefunden hatten.
    Ben würde also heute Nacht nicht nach Hause kommen. Das war wirklich zu schade – ich hatte ihm so viel zu erzählen. Ich konnte alles Biddle erzählen und ihn bitten, es an

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