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Ein guter Jahrgang-iO

Ein guter Jahrgang-iO

Titel: Ein guter Jahrgang-iO Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Mayle
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Flaschen. Ein kunterbuntes Durcheinander von roten und weißen Weinen aus der Region - einige Châteauneuf-du-Pape waren darunter und ein paar Kisten Rasteau und Cassis - aber das Gros stammte aus eigenem Anbau, geschmückt mit dem blumigen blau-goldenen Etikett, das Onkel Henry selbst entworfen hatte. Max entschied sich für eine Flasche Le Griffon Jahrgang 1999 und trug sie zu dem umgestülpten Weinfass hinüber, das als Schanktisch diente und auf dem er einen Korkenzieher und ein nicht besonders sauberes Glas fand. Max drehte das Glas um, schüttelte es, um einen toten Ohrwurm seiner letzten Ruhestätte zu berauben, und wischte es mit seinem Taschentuch aus, bevor er die Flasche öffnete. Er schenkte ein, dann hielt er sein Glas gegen das Licht und gestattete sich einen hoffnungsfrohen Moment, in dem er über das Vermögen nachsann, das sich mit Boutiqueweinen scheffeln ließ.
    Er schnüffelte. Er gurgelte. Er schauderte und spuckte umgehend aus, bevor er sich mit dem Finger den Belag von den Zähnen rieb, der sich wie eine dicke Schicht Tannin anfühlte. Der Wein war nur noch einen Schritt vom Essig entfernt, genug, um die Leber zusammenzuziehen. Sauer macht nicht immer lustig.
    Vielleicht hatte er lediglich die falsche Flasche erwischt. Max wählte eine andere aus, wiederholte die Verkostungsprozedur, mit dem gleichen ungenießbaren Ergebnis. Das war hier nicht die Goldmine, die Charlie vorgeschwebt hatte. Max beschloss, ihn anzurufen und ihm die Hiobsbotschaft zu überbringen.
    »Ich bin im Keller und habe gerade den Wein probiert.«
    »Und?«
    »Jung natürlich.«
    »Natürlich. Trotzdem viel versprechend?«
    »Könnte sein. Aber ihm fehlt die Finesse. Braucht ein bisschen mehr Schliff, eine feste Hand, jemanden, der ihn ordentlich zurechtstutzt.« Er hielt inne, unfähig, noch länger mit der Wahrheit hinter dem Berg zu halten. »Ehrlich gestanden, Charlie, er schmeckt wie drei Tage alte Socken. Ich wäre nicht einmal auf die Idee gekommen, ihn hinunterzuschlucken. Widerlich.«
    »Wirklich?« Charlies Interesse schien schwerer zu wiegen als die Enttäuschung. »Nun, das muss nicht an den Trauben liegen, sondern könnte ein Fehler des Erzeugers sein. Das kommt oft vor, weißt du. Wir brauchen einen Önologen.«
    »Aha.«
    »Einen Weinbauexperten. Ich habe einiges über sie gelesen. Eine Spezies für sich, manche sind die reinsten Zauberer. Sie experimentieren mit Trauben aus verschiedenen Lagen, verschneiden sie, bis das Mischungsverhältnis stimmt. Wie bei einem Kochrezept, nur dass es sich hier nicht um Speis, sondern um Trank handelt. Natürlich können sie keine Wunder vollbringen und Plörre in Prestigewein verwandeln, aber manchmal bewirken sie einen gewaltigen Unterschied. Erkundige dich mal. Mit Sicherheit gibt es ein paar von der Sorte in eurer Gegend. Und, wie ist das Château? Nein, sag nichts. Ich werde mir selbst ein Bild machen und für ein paar Tage runterdüsen, sobald ich mich hier loseisen kann. Sorg du in der Zwischenzeit dafür, dass die Damen bei meinem Empfang Spalier stehen.«
    Nachdenklich verließ Max den Keller. Wo sollte er einen Weinmagier finden? Solche Leute waren selten im Branchenbuch eingetragen. Vielleicht wusste Maître Auzet Rat. Er würde sie fragen, wenn sie sich zum Lunch trafen.
    Bei dem Gedanken an Essen erinnerte ihn sein Magen daran, dass er seit dem Gummifrühstück, das ihm heute Morgen im Flugzeug vorgesetzt worden war, keinen Bissen mehr zu sich genommen hatte. Er trug seine Koffer in das recht imposante Schlafzimmer hinauf - großer offener Kamin, mehrere Schinken in Öl, miserabel gemalt -, das Onkel Henrys gewesen war, und nachdem er sich umgezogen hatte, begab er sich ins Dorf, um zeitig zu Abend zu essen.
    In St. Pons war offenbar »happy hour«. Ledergesichtige Männer, staubbedeckt von den Feldern, säumten die Theke des Cafés, laut und geschwätzig, ihr Akzent so stark wie der Qualm ihrer Zigaretten. Max bestellte einen Ricard und fand einen Platz in der Ecke. Er kam sich blass und fremdländisch vor. Durch die offene Tür konnte er eine Partie Boule verfolgen, die draußen in vollem Gang war: Die Spieler bewegten sich gemächlich, aber lärmend von einem Ende der Bahn zur anderen. Die Strahlen der Abendsonne fielen über den Platz, überzogen die Natursteinhäuser mit einem honigfarbenen Schimmer, und die Musikbox des Cafés hatte einen Charles-Aznavour-Abend eingelegt. Max konnte es kaum fassen, dass er noch vor vierundzwanzig Stunden durch das Fenster

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