Ein guter Jahrgang-iO
massiver gusseiserner Herd und ein Spülstein von der Größe einer Badewanne nahmen eine ganze Wand ein, die andere wurde von Vorratsschränken mit Glastüren in Beschlag genommen; der große Tisch aus groben Holzplanken stand am gleichen Platz wie immer, in der Mitte des Raumes. Als er seine Finger über die Tischplatte gleiten ließ, fand er auf Anhieb die Stelle, an der er seine Initialen eingeritzt hatte. Nichts hatte sich verändert.
Die hohen rechteckigen Fenster boten einen Ausblick auf die niedrigeren Hänge des Luberon. Zwischen Haus und Hügel, wo sich weitere Weinstöcke befanden, sah Max die ewig gleiche Gestalt auf dem Traktor patrouillieren: Die Maschine hinter dem Traktor versprühte einen blauen Pestizidnebel über die schnurgerade gezogenen Reihen. Das musste Roussel sein, wahrscheinlich verspritzte er immer noch Gift und Galle, wie schon in der Kanzlei des notaire. Max beschloss, dass die erste Begegnung mit ihm warten konnte, bis er sich beruhigt hatte.
Draußen im Weinfeld hatte Roussel mit dem scharfen Blick des Bauern für jede noch so kleine Veränderung in der Landschaft das Öffnen der Fensterläden registriert und bereits das Handy am Ohr, um seiner Frau Ludivine die Neuigkeit mitzuteilen.
»Er ist angekommen, der Engländer. Er befindet sich jetzt im Haus... Nein, ich habe ihn noch nicht getroffen, nur kurz in Auzets Kanzlei gesehen. Er ist jung.« Roussel verstummte, während er die schwierige Wende am Ende einer Rebenreihe bewerkstelligte. »Ob er sympathisch ist? Woher soll ich das wissen! Bei den Engländern kann man sich da doch nie sicher sein.« Er blickte zum Haus hinüber und steckte das Handy mit einem Seufzer in die Tasche zurück. Diese Engländer. Wann würden sie endlich aufhören, wie ein Heer von Eroberern in Frankreich einzufallen? Er vernahm ein Winseln und musterte die Weinstöcke hinter sich. Merde. Sein Hund, der dem Traktor gefolgt war, hatte eine ganze Ladung bouillie bordelaise abbekommen und hatte nun einen blassblauen Kopf, was ihn umso bizarrer aussehen ließ.
Max setzte seinen Erkundungsgang fort, öffnete sämtliche Fensterläden, spähte in Kleiderschränke und Kommoden und gewann wieder ein Gefühl für die Topographie des Hauses, während er die Gegenwart mit der Vergangenheit verglich. Es war größer, als er es in Erinnerung hatte. Selbst Charlie hätte seinen Wortschatz als Immobilienmakler erweitern müssen, um den sechs Schlafzimmern, der Bibliothek, dem Esszimmer, dem riesigen Wohnzimmer, der Küche, der Waschküche, den beiden Speise- und Vorratskammern, der Spülküche und der Abstellkammer gerecht zu werden - und gewiss gab es irgendwo am entgegengesetzten Ende des Hauses einen Keller. Max durchquerte das Wohnzimmer, wobei seine Schritte auf dem Steinboden widerhallten, und hielt vor einem mit Staub bedeckten Flügel inne, einem älteren Modell. Er betrachtete die Fotografien, die darauf standen. Sein Blick fiel auf eine verblasste Schwarz-Weiß-Aufnahme von einem Mann und einem kleinen Jungen, die blinzelnd in die Sonne sahen: Onkel Henry und sein kleiner Neffe, und beide hielten einen alten hölzernen Tennisschläger in der Hand.
Er ging weiter, durch eine schmale Tür neben dem offenen Kamin und die kurze Treppe hinunter, die in den Weinkeller führte. Er entriegelte die Tür und stieß sie auf und spürte einen kühlen Luftzug auf seinem Gesicht, als er nach dem Lichtschalter tastete.
Eine nackte Glühbirne war die einzige Lichtquelle dieses kleinen, praktisch eingerichteten Raumes. Der Fußboden bestand aus Schotter, die Decke war niedrig, und die Lagerbehältnisse für die Fässer waren gemauert. Ein nostalgisches Emailthermometer, das an einer Wand hing, mit einer Einteilung von 50 Grad plus bis 15 Grad minus, wies rätselhafte Inschriften am Rande auf: 50 Grad war beispielsweise ein schöner Tag im Senegal; 35 eine Temperatur, die Bienen zum Ausschwärmen ermutigte; minus 10 so kalt, dass die Flüsse zufroren, und minus 15 war mit einer Jahreszahl versehen, bei der einem eiskalt wurde, wenn man an das Unwetter dachte, das damals England heimgesucht hatte: 1859. Die Temperatur im Keller betrug ganze 12 Grad Celsius, und Max fiel ein, dass Onkel Henry ihm erzählt hatte, die Temperaturschwankungen im Raum gingen nie über zwei Grad hinaus, ungeachtet des Wetters, das draußen herrschte. Eine gleich bleibende Temperatur ist das Geheimnis eines Weines, pflegte er zu sagen, der gesund ist und sich voll entfalten kann.
Max inspizierte die
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