Ein guter Jahrgang-iO
Salz. »Dann sagen Sie eben Nathalie. Und meine Zähne sind echt.« Sie biss in das Radieschen, dann schnellte eine rosafarbene Zunge heraus, ein Salzkorn von der Unterlippe zu lecken. »Und, alles in Ordnung mit dem Haus? Oh, bevor ich es vergesse...« Sie öffnete die Aktenmappe und zog einen Ordner heraus. »Noch ein paar Rechnungen - Versicherung für das Haus, Arbeiten, die der Elektriker ausgeführt hat, die vierteljährliche Abrechnung der Cave Co-opérative.« Sie schob den Aktenordner über den Tisch. » Voilà. Das ist jetzt wirklich alles. Keine unangenehmen Überraschungen mehr, das verspreche ich Ihnen.«
Bevor Max antworten konnte, kehrte der Ober mit Eiskübel und Wein zurück. Als die ersten Gläser eingeschenkt, eine leichte Mahlzeit aus Salat und rouget- Filets bestellt und einige gesellschaftliche Nettigkeiten ausgetauscht worden waren, begann Nathalie die Situation mit Roussel und dem Wein zu schildern.
In der Provence, erklärte sie, gab es wie in den meisten Weinanbaugebieten ein Arrangement, das als métayage bezeichnet wurde. Roussel und Max' Onkel hatten dieses System vor langer Zeit übernommen: Roussel besorgte die Arbeit an den Rebstöcken, Onkel Henry übernahm die Betriebskosten, und die beiden teilten sich den Erlös aus dem Weinverkauf. Der Besitzerwechsel nach Onkel Henrys Tod hatte Roussel beunruhigt. Er würde die Partnerschaft gern fortsetzen und machte sich Sorgen, dass Max eine Beendigung in Betracht ziehen könnte.
Max fragte, ob ein solches Vorhaben technisch überhaupt möglich sei, was Nathalie bejahte. Aber, räumte sie ein, rein juristisch würde es schwierig und unter Umständen sehr kompliziert sein, den Status quo zu ändern; sie untermauerte ihre Beweisführung mit einem Präzedenzfall - einem lokalen Präzedenzfall, genauer gesagt. Die Besitzer eines nahe gelegenen Weinguts hatten seit annähernd zweihundert Jahren immer mit derselben Bauernfamilie zusammengearbeitet. Vor einigen Generationen hatten sie versucht, diese mündliche Übereinkunft nach einem Streit für null und nichtig zu erklären. Die Bauern gingen auf die Barrikaden. Nach einer langen und erbitterten Auseinandersetzung erstritten die Bauern vor Gericht das Recht, das Land weiterhin zu bestellen, was sie auch heute noch taten. Allerdings sprachen die beiden Familien seit 1923 kein Wort mehr miteinander.
Max schluckte einen Mund voll rouget hinunter und schüttelte den Kopf. »Nicht zu fassen. Stimmt das wirklich?«
»Natürlich. Es gibt Hunderte von ähnlichen Fallbeispielen, Fehden, die um Grund und Boden oder Wasser entbrannten, sogar innerhalb einer Familie. Brüder gegen Brüder, Väter gegen Söhne. Schmeckt der Fisch?«
»Phantastisch. Aber sagen Sie mir eins. Ich habe gestern Abend im Haus ein paar Flaschen von dem Wein probiert - Le Griffon. Er war ungenießbar. Und Ihr Freund, der Kellner, findet ihn grauenvoll.« Falls er Anteilnahme von Nathalie erwartet hatte, sollte er enttäuscht werden.
Nichts als ein müdes Schulterzucken. »Dommage. Aber wir sind hier nicht im Médoc.«
»Wenn der Wein so schlecht ist, lässt er sich doch gewiss nicht Gewinn bringend verkaufen, oder?«
»Ich bin notaire. Was weiß ich vom Weinverkauf?«
Wahrscheinlich wesentlich mehr als ich, dachte Max. »Ich wüsste gerne, warum Roussel so erpicht darauf ist, weiterhin Wein anzubauen, wenn er wirklich so miserabel ist, wie alle behaupten?«
Nathalie wischte mit einem Stück Brot die Soße von ihrem Teller. »Aus reiner Gewohnheit. Das macht er schon seit fünfundzwanzig Jahren, damit hat er sich abgefunden.« Sie beugte sich vor. »Sie müssen verstehen, dass die Leute hier nicht das Geringste von Veränderungen halten. Die sorgen in ihren Augen nur für Unruhe.«
Max hob die Hand zum Zeichen, dass er sich geschlagen gab. »Na gut. Ich habe nichts dagegen einzuwenden, wenn er auf den Weinfeldern arbeiten will. Aber was dabei herauskommt, muss ein anständiger Wein sein. Das ist doch verständlich, oder?« Er hielt inne, versuchte sich an den Fachbegriff zu erinnern, den Charlie benutzt hatte. »Ich würde gern einen Fachmann engagieren, der sich die Rebstöcke einmal anschaut. Einen oenologiste.«
Kaum hatte er das Wort ausgesprochen, als Nathalie ihm auch schon scherzhaft mit dem Finger drohte, eine Geste, die sich die Franzosen nicht verkneifen können, wenn sie einen Ausländer korrigieren, dem in ihrer Sprache ein Lapsus unterlaufen ist. »Sie meinen oenologue.«
»Genau. Einen Rebendoktor. Es gibt
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