Ein guter Jahrgang-iO
sich zu vergiften.« Sie warf ihm einen Blick von der Seite zu, streng und vorwurfsvoll. »Das heißt, wenn es in diesem Hause etwas Essbares gäbe. Von dem, was ich gefunden habe, könnte nicht einmal eine Ratte satt werden. Wie wollen Sie das Problem mit dem Mittagessen lösen?«
»Oh, ich wollte ins Dorf gehen und im Café eine Kleinigkeit zu mir nehmen. Steak frites, so in der Art.«
Wieder der mahnende Zeigefinger. »Attention. Das Steak besteht aus Pferdefleisch, als Rindfleisch getarnt. Mit einem Omelett sind Sie besser bedient.« Damit, und mit dem Versprechen, am Nachmittag zurückzukehren, brauste Madame Passepartout davon.
Max warf sich in Schale, deponierte den Hausschlüssel unter einem Pflanzkübel mit Geranien im Hof und fuhr los. Auf dem Weg ins Dorf wurde der Gedanke an ein Omelett im Café von dem Wunsch nach etwas Handfesterem verdrängt - er stellte fest, dass die Provence fortwährend Hungergefühle in ihm auslöste -,und deshalb beschloss er, im Chez Fanny zu essen.
Aber es kam anders. Fanny war désolée, très désolée - sie drückte seinen Arm und blickte ihm tief in die Augen, um ihr Bedauern zu unterstreichen -, es war Samstag und das ganze Restaurant, wie so oft, für eine Hochzeitsgesellschaft reserviert. Max stapfte mit seiner Enttäuschung davon und musste mit dem Café vorlieb nehmen.
Wie sich herausstellte, war das Omelett ausgezeichnet, leicht und locker, der Salat frisch und phantastisch angemacht und der pichet Rosé kühl und körperreich. Von seinem Aussichtspunkt draußen vor dem Café hatte Max einen ungehinderten Blick auf die Feier, die auf der gegenüberliegenden Seite des Dorfplatzes stattfand.
Der Franzose aus der Provinz ist mit seinem Freizeitgebaren nicht selten eine Überraschung für die Zuschauer, die dann merken, dass die Pariser mit ihrer vornehmen Zurückhaltung und ihren unterkühlten Manieren keineswegs repräsentativ für das Verhalten ihrer Landsleute sind. Die Hochzeitsgäste auf Fannys Terrasse waren überwiegend jung - ein paar Kinder und eine Hand voll Alter waren auch darunter - und hatten reichlich dem Wein zugesprochen. Gelächter drang herüber, Bruchstücke von Reden, Zwischenrufe und Beifall inbegriffen, und eine tremolierende Version des von Edith Piaf berühmt gemachten Chanson »La Vie en Rose«. Ein älterer Mann, der vor der Braut Aufstellung genommen hatte, sang, eine Hand auf ihrer Schulter, während die andere dirigierte. Die Hochzeitsgäste stimmten mit einem Glas Champagner in der Hand in den Gesang ein.
Max saß bei Espresso und Calvados, während sich ein Gefühl des Wohlbehagens wie ein Beruhigungsmittel in seinem Körper ausbreitete. Er hatte noch keine Gelegenheit gehabt, sich einsam zu fühlen, das würde im Lauf der Zeit vermutlich noch kommen. Doch im Augenblick, da die Sonne hoch am blauen Himmel stand, sein Magen gut gefüllt war und seine Gedanken zur morgigen Spritztour mit Nathalie Auzet schweiften, befand er sich in Einklang mit sich selbst und der Welt. Er streckte sein Gesicht der Sonne entgegen, schloss die Augen, damit sie nicht blendete, und gab dem Impuls nach zu dösen.
Ein Höllenlärm riss ihn unsanft aus dem Zustand seligen Vergessens. Der Dorfplatz hatte sich mit Fahrzeugen gefüllt, die dem Anlass entsprechend geschmückt waren. Chiffonstreifen in weiß, blau oder rosa waren an die Radioantennen, die Seitenspiegel oder in einem Fall gar an die Sonnenbrille des Fahrers geknüpft, und das obligatorische Hupkonzert zerriss die nachmittägliche Idylle. Nach einer Runde um den Dorfplatz, die wie ein Triumphzug anmutete, setzte sich die Kavalkade in Marsch, um mit ihrem ohrenbetäubenden Getöse die Fahrt in die Flitterwochen einzuläuten.
Max rieb sich die Augen und spürte ein leichtes Brennen auf den Lidern, die zu viel Sonne erwischt hatten. Stille und Leere senkten sich wieder über den Platz, als das Dorf die Fensterläden schloss und sich für die Siesta rüstete.
Ins Haus zurückgekehrt, traf er Madame Passepartout gerade bei einem Duett in voller Lautstärke mit dem Staubsauger an. Er flüchtete und verbrachte den Rest des Nachmittags in den Scheunen, versuchte, wenigstens einen Anschein von Ordnung in das Chaos aus Düngemittelsäcken, Ölkanistern und alten Traktorreifen zu bringen, die auf dem festgetretenen Schlammboden verstreut lagen. Es war eine schwere, schmutzige Arbeit, und um sieben Uhr abends war er so müde und erschöpft wie seit Jahren nicht mehr. Seine Muskeln schmerzten von der
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