Ein guter Jahrgang-iO
einem unaufdringlichen, aber erlesenen Geschmack und von Geld im Überfluss.
Er setzte sich auf die Kante des Ledersofas und nahm die Bücher auf dem Couchtisch in Augenschein. Es waren überwiegend Bildbände über Kunst oder Fotografie, von Caillebotte und Botero bis Atget und Erwitt, wobei ein Stapel dem Wein gewidmet schien - Werke über Yquem, Burgund, die legendären Champagner. Und oben auf dem Stapel lag ein altes Exemplar von The Great Wine Châteaus of Bordeaux.
Max begann darin zu blättern. Wenn dieses Buch noch aufgelegt würde, wäre es das ideale Geschenk für Charlie gewesen, der die Kombination aus erlesenen Weinen und Luxusimmobilien mit Sicherheit zu schätzen wüsste. Bei dem Gedanken an den edlen Tropfen, den sie sich in London zu Gemüte geführt hatten, schlug Max das Inhaltsverzeichnis auf, um Château Léoville Barton zu suchen.
Beim Umblättern der Seiten flatterte ein Lesezeichen zu Boden. Max hob es auf und sah, dass es sich um ein Weinetikett handelte; ein Wein unter den paar hundert anderen, die ihm völlig unbekannt waren, aber ihm gefielen die Schlichtheit des Entwurfs und das dicke cremefarbene Papier, auf dem es gedruckt war. Es strahlte gediegene Eleganz und Klarheit aus, ohne modernen Schnickschnack, ein Etikett, wie er es sich für seinen eigenen Wein gewünscht hätte, sollte er jemals etwas Genießbares aus seinen Rebstöcken herausholen. Er schob es wieder zwischen die Seiten, als er Nathalie die Treppe herunterkommen hörte, legte das Buch an seinen Platz zurück und erhob sich, um sie zu begrüßen.
Ihre Notarkluft hatte sie im Kleiderschrank gelassen: Sie trug eine eng anliegende weiße Hose zu einem ärmellosen schwarzen Top, und die Sonne, die durch das Fenster fiel, betonte den Kupferschimmer ihrer Haare. Max streckte ihr zur Begrüßung die Hand entgegen, die sie zu seiner Überraschung ignorierte, um sich vorzubeugen und ihn auf beide Wangen zu küssen, wobei ihm ihr warmer, herber Duft in die Nase stieg. Der Morgen begann höchst erfreulich.
»Alles klar? Sind Sie bereit zum chiner?«
»Ich habe keine Ahnung, was das heißt, aber es klingt, als würde es Spaß machen. Ist das auch legal?«
Nathalie lachte. »Es bedeutet, nach Antiquitäten zu stöbern, nach Schnäppchen zu jagen.« Sie hängte sich eine große Schultertasche aus Leder um. »Obwohl Sie heute keine Schnäppchen finden werden. Wir nehmen meinen Wagen. Ich fahre gern.«
Er hatte schon immer davon geträumt, sich von einem hübschen weiblichen Chauffeur herumkutschieren zu lassen; das war eine seiner Topmanager-Phantasien gewesen. Nun stellte er allerdings fest, dass er seinen Fuß ständig gegen den Boden stemmte, auf der Suche nach der nicht vorhandenen Bremse. Nathalie fuhr nach klassischer französischer Manier - rasant, voller Ungeduld - und ignorierte hochmütig die Vorteile des beidhändigen Lenkens. Was nicht hieß, dass die nicht am Steuer befindliche Hand untätig war. Wenn sie nicht gerade von einem Gang in den anderen schaltete, wurde sie mit der Aufgabe betraut, das glänzende Haar zurückzustreichen, die Sonnenbrille zurechtzurücken oder die Unterhaltung visuell zu bereichern.
Während die Kilometer wie im Flug vergingen, erzählte sie Max, wie sich das verschlafene kleine Nest Isle-sur-Sorgue mit einem Trödelmarkt am Sonntagmorgen in eine weltweit bekannte Antiquitäten-Metropole verwandelt hatte. »Inzwischen kommt alles her, was Rang und Namen hat«, sagte sie. »Händler aus New York und Kalifornien, London, München und Paris, Innenarchitekten und ihre smarte Klientel, die Häuser in den Alpilles besitzt...« Sie schwieg einen Moment, während sie beschleunigte und in einer uneinsehbaren Kurve zu einem besonders waghalsigen Überholmanöver ansetzte. Einen entgegenkommenden Radfahrer verfehlte sie nur um Haaresbreite. Sie blickte zu Max hinüber und grinste. »Sie können die Augen wieder aufmachen. Wir sind gleich da.«
Max richtete ein stummes Dankgebet an den Schutzheiligen aller verzagten Beifahrer und begann sich zu entspannen, als der Verkehr nur noch im Schneckentempo dahinkroch und die Blechlawine sich Stoßstange an Stoßstange auf die Suche nach einem Parkplatz am Flussufer begab. Nathalie erspähte ein Pärchen, das gerade ein riesiges Ölgemälde mit düsterem religiösem Motiv und ebensolcher Farbgebung in ein Auto lud; mittels Zeichensprache vergewisserte sie sich, dass die beiden sich anschickten, ihren Parkplatz aufzugeben. Sie blieb mitten auf dem Weg stehen,
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