Ein guter Jahrgang-iO
konzentriert sich alles auf die verbleibenden Reben, die einen höheren Alkoholgehalt haben. Diesen Vorgang bezeichnet man als vendange verte. Er ist zeitaufwendig und teuer, weil er nicht von Maschinen übernommen werden kann, aber rein theoretisch dient er der Qualitätsverbesserung des Weines. Das hier muss ein spezieller Teil des Weingartens sein. Was ist das für eine Traube?«
Max zuckte die Achseln. »Ich werde Roussel heute Abend fragen. Und morgen können wir uns bei dem Weinexperten erkundigen. In dieses grässliche Gesöff im Keller scheint ziemlich viel Arbeit investiert worden zu sein.«
Christie blickte versonnen über die Rebstöcke. »Dieses Stück Land ist phantastisch. Ideal gelegen - die Parzelle geht nach Osten hinaus, so dass sich der steinige Boden langsam erwärmt, was besser ist für die Wurzeln, und die Neigung des Hangs ist perfekt, so dass das Wasser gut ablaufen kann. Hier müsste es wirklich möglich sein, einen erstklassigen Wein anzubauen. Mit einem solchen Stück Land könnte man in Napa ein kleines Vermögen verdienen.«
»Wie klein?«
»Damit du dir ungefähr eine Vorstellung machen kannst: Coppola hat vor ein paar Jahren 350 000 Dollar pro Acre bezahlt, als er die Cohn-Weinkellerei kaufte.«
Max stieß einen Pfiff aus.
»Ja, ich weiß, das klingt verrückt. Aber so ist das nun mal in der Weinbranche. Hast du jemals etwas von einem Wein namens Screaming Eagle gehört? Auf der Napa Wine Auction hat eine Flasche unlängst eine halbe Million Dollar erzielt. Eine einzige Flasche!«
»Völlig überspannt! Wie kann man eine Flasche Wein trinken, die eine halbe Million Dollar kostet?«
Christie lachte. »Du hast keine Ahnung von Amerika. Der Mann, der sie ersteigert hat, würde nie im Leben auf die Idee kommen, sie zu trinken. Er hat ein Prestigeobjekt erworben, zum Vorzeigen, genau wie ein Gemälde. Wahrscheinlich hat er sie im Wohnzimmer auf ein Podest gestellt, das Preisschild inbegriffen.«
»Du hast Recht. Ich habe wirklich keine Ahnung von Amerika.«
Sie wanderten durch den Rest der steinigen Parzelle, und überall lagen, wie Christie vermutet hatte, die unauffälligen, sauber entfernten Trauben zu Füßen der Weinstöcke. Irgendwann würden sie verfaulen und wieder in der Erde verschwinden. Und nächstes Jahr würde der Kreislauf von neuem beginnen, dachte Max. Er hoffte, dass er dann noch hier sein würde, um ihn aus der Nähe zu beobachten.
* * *
In den frühen Abendstunden betrachtete er den Sonnenuntergang, während er daraufwartete, dass Christie gestiefelt und gespornt für das Abendessen chez Roussel erschien. Es war ein lehrreicher Tag gewesen, und Max erstattete seinem Freund in London telefonisch Bericht.
»... und morgen Abend werden wir, sofern der Kerl etwas taugt, genau wissen, was wir mit den Rebstöcken anstellen müssen, um die Qualität zu verbessern. Und wie läuft's bei dir, Charlie, wirst du wie geplant zu dieser Immobilientagung runterkommen?«
»Nächste Woche. Ich habe gerade einen Blick auf das Programm geworfen. Ob du's glaubst oder nicht, aber die Frage ›Wohin mit der Luxusvilla?‹ ist tatsächlich Thema für eine Podiumsdiskussion. Da fasst man sich doch an den Kopf! Kannst du dir etwas Langweiligeres vorstellen? Wie auch immer, ich werde mir in Nizza einen Leihwagen nehmen und mich so bald wie möglich aus dem Staub machen. Wird dir gut tun, Gesellschaft zu haben, nachdem du in deinem Märchenschloss so lange von Gott und der Welt abgeschieden warst. Was für Klamotten brauche ich da unten? Frack und Fliege? Shorts und Sonnenhut?«
Max wollte gerade antworten, als er Christie aus der Eingangstür treten sah - eine rundum verwandelte Christie mit hoch gesteckten Haaren, einem schmal geschnittenen schwarzen Kleid und scharlachroten Schuhen mit hohen Absätzen, die auf eine verborgene Seite ihrer Persönlichkeit hindeuteten.
»Du siehst phantastisch aus!«, rief Max ihr spontan quer über den Hof zu.
»Was?« Charlies Stimme am anderen Ende der Leitung klang verdutzt.
»Du doch nicht, Charlie. Aber das ist eine längere Geschichte.«
»Ist da etwa ein Mädchen im Spiel? Du hast da unten ein Mädchen. Du Mistkerl.«
* * *
Max war ziemlich überrascht, als er das Anwesen der Roussels erstmals in Augenschein nahm. Er hatte ein Gehöft mit einer Ansammlung verfallener landwirtschaftlicher Gebäude erwartet, doch stattdessen näherten sie sich einem provenzalischen Landgut. Zugegeben, das Wohnhaus war aus Beton, jenem speziellen,
Weitere Kostenlose Bücher