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Ein guter Jahrgang-iO

Ein guter Jahrgang-iO

Titel: Ein guter Jahrgang-iO Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Mayle
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Schwager, dieser Berserker, hat einen Schädel wie ein Stein. Er vergisst, dass andere nicht an solche Exzesse gewöhnt sind.« Sie zählte sie an den Fingern ab. »Pastis, Wein und marc - da ist die Katastrophe geradezu vorprogrammiert. C'est fou.«
    Plötzlich waren Schritte zu vernehmen, die langsam und unsicher die Treppe hinuntertappten, und dann erschien Christie auf der Schwelle, das Gesicht hinter einer sehr großen, sehr dunklen Sonnenbrille halb verborgen. »Wasser«, ächzte sie. »Wasser bis zum Abwinken.« Wie eine Schlafwandlerin, die ein Mittel gegen Depressionen genommen hat, wankte sie zum Kühlschrank und holte eine Flasche Mineralwasser heraus.
    Der Anblick eines Menschen, der sich dem Ende offensichtlich um einiges näher fühlte als er selbst, verschaffte Max eine gewisse Linderung. Ob er wollte oder nicht, er fühlte sich jetzt nicht mehr ganz so elend. »Muss am Essen gelegen haben«, sagte er. »Die Mandelbiskuits sind tödlich.« Das aschfahle Gesicht mit der Sonnenbrille wandte sich Max einen Moment lang zu.
    »Mal im Ernst, ein Spaziergang würde dir gut tun«, sagte er. »Frische Luft, Vogelgezwitscher, Sonnenschein auf den Hängen des Luberon...«
    »Kaffee«, erwiderte Christie. »Kaffee bis zum Abwinken.«
    * * *
    Als sie draußen vor dem Café bei einem Liter Wasser und annähernd der gleichen Menge Kaffee saß, hatte Christie sich so weit erholt, dass sie mit Interesse beobachten konnte, was um sie herum vorging. In St. Pons war Markttag, und auf dem Dorfplatz waren unter den Platanen Stände errichtet worden. Wie es schien, gab sich hier die halbe Provence ein Stelldichein, um einzukaufen, zu sehen oder gesehen zu werden.
    Ein Farbkode-System half bei der Identifizierung der riesigen Menschenmenge, die sich zwischen den Marktständen hin und her bewegte: Die Einheimischen waren dunkelbraun gebrannt, trugen verblichene Kleidung und hielten abgenutzte Einkaufstaschen aus Stroh in der Hand; die Sommergäste, deren Hautfarbe entweder kreidebleich oder ziegelrot war, trugen dagegen neue Garderobe in Farben, die in dieser Saison der letzte Schrei waren; die nordafrikanischen Schmuckverkäufer erkannte man an ihrem Teint, der dunklem Karamell glich; dazwischen das Blauschwarz der Senegalesen mit ihren Uhrenauslagen und Lederwaren. Eine empfindsame Nase hätte den Geruch einzelner Gewürze, der am Bratspieß vor sich hin schmurgelnden Hähnchen, der Lavendelessenz, des Käses unterscheiden können. Und ein aufmerksames Ohr wäre in der Lage gewesen, Wortfetzen in mindestens vier Sprachen aufzuschnappen - Französisch, Arabisch, Deutsch, Englisch -, von der franko-touristischen Mundart abgesehen, einer Art Handels-Esperanto, das die meisten Standbesitzer beherrschten.
    Christies Blick wurde von einer Gruppe Radfahrer mittleren Alters am Rande des Marktes gefesselt, die sich eine kurze Zeit der Rast gönnten. Ihre chromblitzenden Fahrräder strotzten vor technischen Finessen und teurem Firlefanz wie Halterungen für das Handy an der Lenkstange oder einem »Flaggenmast« hinter jedem Sattel, an dem ein dreieckiges weißes Fähnchen flatterte. Die Besitzer dieser Fitnessgeräte de Luxe glichen in ihren viel zu engen Lyrca-Beinkleidern prall gefüllten mehrfarbigen Würsten, die durch Sturzhelme in der Form von Insektenköpfen den letzten Schliff erhielten. Sie trugen ausnahmslos fingerlose Handschuhe und eng anliegende Rundum-Sonnenbrillen, wie sie die Stars der Tour de France bevorzugten. Sie klopften einander auf die Schultern, weil sie die mühselige Morgenetappe heldenhaft durchgestanden hatten. Ihre Stimmen übertönten mühelos das Getöse, das auf dem Markt herrschte.
    Christie zuckte zusammen. »Warum sind die Amerikaner immer die Lautesten? Das ist so peinlich!«
    »Hack nicht auf ihnen herum, sie leiden auch so schon Höllenqualen«, sagte Max. »Kein Wunder bei diesen hautengen kurzen Hosen. Außerdem weiß ich nicht, ob ich dir beipflichten kann. Hast du schon mal ein Rudel Engländer in voller Lautstärke gehört? Die reinsten Heulbojen, echt Weltklasse.« Er beobachtete, wie einer der Radfahrer ein kompliziertes Dehnritual durchführte und sich dann auf den Sattel schwang. »Tatsache ist, dass wir mit unseren eigenen Landsleuten immer strenger ins Gericht gehen. Es gibt viele bewundernswerte Amerikaner. Einer von ihnen hat meine Exfrau geheiratet, Gott segne ihn.« Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und sah Christie an. »Und was ist mit dir? Wartet Mr. Napa im Valley auf

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