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Ein guter Jahrgang-iO

Ein guter Jahrgang-iO

Titel: Ein guter Jahrgang-iO Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Mayle
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und altem Leder ein, verlagerte sein Gewicht in dem knarzenden Sattel, versuchte sich den Anschein von Lässigkeit zu geben und fing an, der Landschaft ringsum mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Sie trabten gemächlich hintereinander her, einen schmalen steinigen Pfad bergauf. Die Pferde bahnten sich ihren Weg durch ein Dickicht aus Ginster lind Spindelbäumen, und ihre Hufe trampelten Rosmarin und Thymian nieder, die anscheinend aus jeder Felsspalte wuchsen. Der Ausblick auf die ganze Palette der Grünschattierungen, die sich wie ein Teppich zu ihren Füßen ausbreiteten, wurde immer atemberaubender, je näher sie dem Gipfel der Anhöhe kamen.
    Nach zwei Stunden hatten sie den höchsten Aussichtspunkt auf den Luberon erreicht. Auf der Karte des Bauern war er als Mourre Nègre gekennzeichnet, mehr als tausend Meter über dem Meeresspiegel. Das lauteste Geräusch, das zu ihnen drang, war das sanfte Schnauben der Pferde. Sie hatten seit Beginn des Ausflugs keine Menschenseele gesehen oder gehört.
    Christie band die Pferde im Schatten einer Zwergeiche an, während Max Brot und Wurst, Käse und Obst und eine Flasche Rotwein auspackte, der durch die Nähe des Pferds genauso wohltemperiert war wie in einem gut beheizten Raum. Er reckte und streckte sich, um seinen steifen Rücken zu entlasten, der während des Ritts bergauf in einer mehr oder weniger starren Position verharrt hatte, und ließ seinen Blick schweifen.
    Niemand hätte sich der Wirkung des Bildes zu entziehen vermocht, das sich ihm bot: eine Landschaft, die durch ihren außergewöhnlichen Frieden und ihre Schönheit, das Fehlen menschlicher Geräusche und das ungeheuer weitläufige Panorama beeindruckte. Im Norden konnte er den Mont Ventoux ausmachen, dessen blendend weißes Schottergestein auf dem Gipfel an eine immerwährende Schneehaube erinnerte; im Süden ragte die massive Silhouette des Mont Sainte Victoire auf; und dahinter, in weiter Ferne, schimmerte silbrig das Mittelmeer. Christie gesellte sich zu ihm, und sie standen eine Weile stumm nebeneinander, lauschten dem Wind.
    »Roussel geht hier oben auf die Jagd. Er erzählte mir, dass er schon oft Adler gesehen hat«, sagte Max. »Herrlich. London scheint Lichtjahre entfernt zu sein.«
    »Vermisst du es nicht?«
    »London?« Er überlegte einen Augenblick, bevor er den Kopf schüttelte. »Nein, kein bisschen. Seltsam, findest du nicht? Ich hatte schon ganz vergessen, wie gut es mir hier immer gefallen hat. Wenn ich früher zu Besuch bei meinem Onkel war, wollte ich gar nicht mehr weg, und das ist noch heute so. Ich habe irgendwie das Gefühl, zu Hause zu sein.« Er grinste. »Und dabei dachte ich immer, ich sei eine Großstadtpflanze.«
    Sie fanden eine Stelle, wo sie Seite an Seite sitzen und nach Süden schauen konnten, den Rücken gegen die von der Sonne erwärmten Felsen gelehnt; Max öffnete die Weinflasche und füllte die Pappbecher, während Christie einfache belegte Brote zurechtmachte. »Soll das heißen, dass du bleibst?«, fragte sie und reichte ihm eine halbe Baguette, prall gefüllt mit Wurstscheiben.
    »Ich hoffe. Wenn es nach mir ginge, schon, aber ich weiß nicht, ob es möglich ist. Mir gefällt es hier - kein Druck, die kleinen Dinge, die den ganz normalen Alltag ausmachen, die Chance, einen Großteil des Jahres im Freien zu verbringen; ich mag sogar die Franzosen - nun, du weißt ja...« Er betrachtete das riesige Sandwich, das er mit beiden Händen hielt. »Wir werden sehen. Und was ist mit dir?«
    Christie ließ sich Zeit mit der Antwort. »Ich bin noch nicht so weit, mich häuslich niederzulassen«, erwiderte sie, und es klang beinahe wie eine Rechtfertigung. »Ich habe noch nichts von der Welt gesehen. Du wirst es kaum glauben, aber bis vor wenigen Jahren gehörte ich noch zu den neunzig Prozent der amerikanischen Bevölkerung, die keinen Reisepass besitzen. Kannst du dir das vorstellen? Wir reisen natürlich, aber nur im Inland. Ich glaube, uns entgeht eine Menge. London, Paris, Prag, Venedig, Florenz - was immer du willst, ich war noch nicht dort. Ich möchte mir so viel wie möglich ansehen, während ich hier bin.« Sie trank einen Schluck Wein und blickte in ihren Pappbecher. »Deshalb werde ich meine Zelte bald abbrechen.«
    Max nahm all seinen Mut zusammen und stellte die entscheidende Frage, die ihm seit Christies Ankunft Kopfzerbrechen bereitete. »Und was machen wir mit dem Weingut?« Er fürchtete sich vor der Antwort.
    »Ich habe lange darüber nachgedacht. Du vermutlich

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