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Ein guter Jahrgang-iO

Ein guter Jahrgang-iO

Titel: Ein guter Jahrgang-iO Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Mayle
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»Ich hoffe, Sie sitzen nicht den ganzen Abend hinter der Bar fest«, sagte er. »Eine junge Frau muss etwas essen. Darf ich Ihnen einen Platz freihalten?«
    »He, Fanny. Die Getränke fließen zäh wie Klebstoff.« Guichard, der Postbote, und seine Frau, beide schwer parfümiert, hatten sich bis zur Bar vorgekämpft und lechzten nach einer Erfrischung. »Bonsoir, Monsieur Skinner. Werden wir heute Abend das Vergnügen haben, einem Engländer beim Tanzen zuzuschauen?«
    Max nahm die Gläser und machte sich, ermutigt von einem Augenzwinkern, mit dem Fanny ihn zum Abschied bedachte, auf die Suche nach Christie und Charlie, die ihn von einem Tisch vor dem Café beobachtet hatten.
    »Was ist so komisch?«, sagte Max, von einem schmunzelnden Gesicht zum anderen blickend.
    »Nichts«, sagte Charlie. »Überhaupt nichts.«
    »Sie schleichen seit Tagen umeinander herum«, erklärte Christie. »Pass gut auf dich auf, Max. Ich glaube, sie hat beschlossen, heute Nacht zum Angriff überzugehen.«
    »Ihr zwei habt offenbar nur eines im Kopf«, sagte Max. »Was ihr euch schon wieder zusammenreimt. Ich war nur höflich zu einer charmanten jungen Dame, die, wie ich gestehen muss...«
    »... ein Kleid von der Größe eines Taschentuchs trägt«, fügte Charlie hinzu. »Ich bin der Meinung, Christie hat Recht.«
    Sie tranken ihren Wein - den Charlie als jung und verspielt, aber im Wesentlichen als gutherzig bezeichnete -, während sie den Aufmarsch beobachteten, der an ihnen vorüberzog. Das Fest hatte nicht nur die Bewohner der umliegenden Dörfer angezogen, sondern auch Fremde aus fernen Ländern: Deutsche von der Farbe polierten Mahagonis, deren Sprache sich harsch und kehlig von dem weichen, klangvolleren Französisch abhob; die amerikanischen Radfahrer, die Max schon zuvor auf dem Markt gesehen hatte, nun wie wohlhabende Teenager in Baumwolle von der Art gekleidet, die nie zu knittern scheint, mit Gürteln, deren Spitzen mit Silber beschlagen waren, jungfraulichen, aufblasbaren Laufschuhen und der unvermeidlichen Baseball-Kappe mit sportlichen oder militärischen Emblemen; des Weiteren eine Gruppe Zigeuner, hager und dunkelhäutig, die wie Haie in einem Schwarm tropischer Fische durch die Menge glitten; und eine kleine Schar Pariser, die pastellfarbenen Kaschmirpullover als Schutz gegen die abendliche Kühle über die Schultern drapiert, da die Temperaturen unter dreißig Grad abzusinken drohten. Doch, wie Christie bemerkte, weit und breit keine Engländer in Sicht.
    »Aha«, sagte Max mit der wissenden Miene eines Mannes, der sich nach zehn Tagen Aufenthalt zu den Alteingesessenen zählt. »Die meisten halten sich auf der anderen Seite des Luberon auf - in Gordes, Menerbes, Bonnieux, dem goldenen Dreieck. Ich habe mir sagen lassen, dort sei wesentlich mehr los, soirées jeden soir. Genau deine Kragenweite, Charlie. Allem Anschein nach unterhalten sie sich liebend gern über Immobilienpreise.«
    Ein paar Tische entfernt hatten die Akkordeonspieler, nach einem letzten Pastis gestärkt, ihre Instrumente eingesammelt und marschierten nun im Gänsemarsch auf die Bühne. Der Rapper, dessen monotoner Singsang bis dahin aus den Lautsprechern dröhnte, wurde nun mitten in der Litanei seiner Verwünschungen unterbrochen, und der Platz vor der Bühne leerte sich. Hinter der Bar hatte Fanny ihre Schürze abgenommen und zog sie dem Aushilfs-Barmixer über den Kopf, einem uralten, winzig kleinen Mann, der reglos dastand, hypnotisiert von der Nähe des atemberaubenden Dekolletes, das sich ihm in Nasenhöhe darbot.
    Charlie stieß Max mit dem Ellenbogen an. »Beeil dich, bevor sie der junge Lochinvar dort drüben zum Tanzen auffordert«, sagte er, als Christie und er aufstanden. »Wir suchen mittlerweile einen Tisch für uns vier.«
    Fanny an besagten Tisch zu lotsen war ein langsamer, wenngleich kurzweiliger Prozess, der ständig ins Stocken geriet, weil sie Freunde und Stammgäste des Restaurants mit Kuss und Umarmung begrüßte, verfolgt von den aufmerksamen, nicht restlos billigenden Blicken der Ehefrauen. Fanny im Restaurant, von zahlreichen Pflichten in Anspruch genommen, stellte keine Gefahr dar - sie war charmant und sehr dekorativ, aber ungefährlich. Fanny, von ihren beruflichen Obliegenheiten befreit, in einem Kleid, das sogar den treuesten Ehemann in Versuchung führen konnte, von einem heimlichen Wochenende in Paris zu träumen, war ein Anblick, den keine Ehefrau begrüßen konnte, schon gar nicht an einem Abend mit Wein, Musik und

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