Ein gutes Herz (German Edition)
Zimmer verlassen hatte, fragte Moszkowicz: »Sonja hat es sich also auf einmal anders überlegt? Doch plötzlich bereit, mit Kohn zu reden?«
De Winter nickte düster. »Ja. Sie ist nicht gerade stabil, wie man so schön sagt. Im Moment jedenfalls nicht. Das war alles ziemlich unangenehm heute Nachmittag. Sie wollte weg, Gott weiß, wohin. Fluchtartig. Um diesen Mann nicht in ihre Nähe kommen zu lassen. Ich hab mir ganz schön was von ihr anhören müssen.«
»Ihr Sohn ist doch der Sohn von…?«
Moszkowicz brauchte die Frage nicht auszuformulieren.
»Ja, er ist sein Sohn«, antwortete de Winter.
»Aber er weiß es nicht, vermute ich mal«, ergänzte Moszkowicz.
»Nein.«
»Warum hat sie es ihm nie gesagt?«
»Sie hasst ihn.«
»Ich glaube, er wäre sehr glücklich, wenn sie es ihm sagen würde. Glaubt sie wirklich, dass er ihr etwas antun würde? Das ist doch Unsinn.«
»Dann versuch mal, sie davon zu überzeugen«, sagte de Winter. »Sie will nicht auf demselben Kontinent sein wie er. Tja, aber jetzt kommt sie her, und wir werden sehen, was passiert.«
»Wo will sie denn hin, wenn sie Amsterdam verlässt?«
Moszkowicz bot de Winter ein Glas Wein an. De Winter beschloss, den Beginn seiner Diät um einen Tag zu verschieben.
»Keine Ahnung. Sie war… Sagen wir mal, sie war mir gegenüber nicht besonders feinfühlig heute. Sie hat Angst. Wenn sie an Max Kohn denkt, kriegt sie die Panik.«
Sie prosteten sich zu. Ein vollmundiger, körperreicher Wein. Château Cos d’Estournel 2008. Ein edler Tropfen, mindestens hundert Euro die Flasche.
»Geschenkt bekommen«, sagte Moszkowicz, der de Winters Gedanken erriet. »Zufriedener Klient. Könnte ich mir im Moment nicht leisten. Auch bei mir läuft es nicht mehr so gut. Man könnte meinen, die schweren Jungs bleiben in der Krise lieber zu Hause. Das Benzin ist zu teuer geworden, da ist ein Fluchtauto für den Einbruch nicht mehr drin.«
»Du kannst gern bei mir mitessen«, sagte de Winter. »Große Mengen, aber nicht sehr kalorienhaltig. Ich muss abnehmen, Bram.«
»Warum denn das?«
»Weil es sein muss. Jessica hat mir damit auch dauernd in den Ohren gelegen. Sie hat mich wohl nicht zuletzt deswegen verlassen. Ich weiß es nicht. Beim letzten Gesundheitscheck wurde auch ein zu hoher Blutzucker bei mir festgestellt. Prädiabetes hab ich jetzt. So nennt sich das. Muss zwanzig Kilo abspecken. Mein Vater hatte das auch. Ich möchte kein Patient werden.«
»Darfst du dann überhaupt Wein trinken?«
»Ein Glas.«
»Gut. Dann ist das jetzt dein letztes.«
»Okay, mein letztes.«
Sie prosteten sich noch einmal zu.
»Leon…?« Moszkowicz suchte seinen Blick.
»Ja?«
»Was ich dir jetzt erzähle, kann man zwar durchaus in Erfahrung bringen, wenn man bei der Justiz nachfragt, es fällt nicht unter die Geheimhaltung, aber du musst es trotzdem für dich behalten.«
»Ich bin die Verschwiegenheit in Person.«
Moszkowicz zögerte einige Sekunden. Bei ihm war das, was nicht gesagt wurde, genauso wichtig wie das Gesagte.
Er fragte: »Was hat sie dir über das Verschwinden ihres Vaters erzählt?«
Die Frage genügte. De Winter verstand sofort, worauf er hinauswollte. Moszkowicz hatte nichts und doch alles gesagt. De Winter rutschte an den Sesselrand vor und beugte sich zu Moszkowicz hinüber, als ließen sich so mehr Einzelheiten in Erfahrung bringen.
»Sie haben ihn nicht dafür belangt«, sagte de Winter im Flüsterton, als könnte irgendwer in der Kanzlei lauschen.
»Kohn hatte seinen Adjutanten«, erwiderte Moszkowicz. »Der hat alles für ihn getan. Der sitzt auch noch immer die Strafe ab. Interessanter Mann, hab vergessen, wie er heißt… Ouaziz. Der wurde für den Mord an zwei Serben verurteilt. Die hatten versucht, Kohn umzubringen, und es war reines Glück, dass er es überlebte. Ouaziz hat Rache geübt. Er hat diese Serben gekillt wie ein Profi und sie in irgendeinem Graben abgelegt. Nicht lange nach diesen Hinrichtungen verschwand Sonjas Vater. Der hatte mit Max Geschäfte gemacht. Das weiß ich, weil ich Max damals in zivilrechtlichen Angelegenheiten vertrat. Ich weiß nicht, was genau vorgefallen ist. Man hat ihn verhört, nachdem man ihn überfallartig festgenommen hatte. Ich habe damals auch mit ihm darüber geredet. Und Sonja haben sie ebenfalls damit konfrontiert. Sie hatten wohl herausgefunden, denke ich, dass es Kontakte zwischen den Serben und ihrem Vater gab. Aber Max konnten sie nichts anhaben. Und Ouaziz auch nicht. Die Leiche ihres
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