Ein gutes Herz (German Edition)
jetzt isoliert, Herr Boujeri. Sie werden in einen separaten Raum gebracht. Dort können Sie sich waschen. Vielleicht haben Sie auch Ihr Abendgebet noch nicht gesprochen. Das können Sie dort tun. Man hat einen Gebetsteppich für Sie besorgt. Sie können sich auch umziehen, man hat Kleidungsstücke für Sie bereitgelegt. Ich weiß nicht, ob ich Sie noch einmal wiedersehe. Sie haben unserem Land wenig Freude bereitet.«
Woher kannte ich ihn?
Ich fragte: »Wer sind Sie?«
Der Mann antwortete: »Ich habe seinerzeit Sicherheitsmaßnahmen ergriffen, weil ich befürchtete, dass die Muslimgemeinschaft Vergeltungsakten ausgesetzt sein könnte, nachdem Sie Herrn van Gogh umgebracht hatten. Ich hätte auch gerne Blasphemiegesetze eingeführt. Das ist mir nicht gelungen. Mein Name ist Donner. Ich war 2004 Justizminister. Jetzt bin ich Innenminister.«
Ich nickte. Natürlich, ein bekanntes Gesicht. Ich erinnerte mich, dass er immer so aussah, als würde er gleich in Tränen ausbrechen. Er war mächtig.
Ich fragte: »Warum führen Sie dieses Gespräch mit uns beiden zusammen? Warum wollen Sie, dass ich höre, dass Ouaziz seinen Sohn umstimmen soll?«
Donner sagte: »Wir wollen, dass Sie weitererzählen, was wir hier besprochen haben. Wir wollen, dass der Sohn von Herrn Ouaziz, zu dem wir keinen Kontakt herstellen können, über die Freilassung seines Vaters im Bilde ist. Wir wollen, dass Sie ihm sagen, dass sein Vater mit ihm sprechen möchte.«
»Und wenn ich das nicht tue?«
»Dann werden wir dafür sorgen, dass die Maschine nicht abfliegt.«
»Dann wird es Tote geben«, sagte ich.
Donner nickte. Und sagte fast entschuldigend: »Wenn die Passagiere ausgestiegen sind, ist nur noch die türkische Besatzung an Bord. Und Sie. Und eine Fußballelf aus fanatischen Muslimen.«
Er sprach diese Worte mit gequälter Miene, als hätte ihn bereits die Nachricht erreicht, dass das Flugzeug explodiert sei. Mir wurde bewusst, warum er das alles sagte, warum er mir erzählt hatte, was passieren konnte. Das war eine Warnung. Er sagte mir damit, dass er nicht verlieren konnte. Wenn die Passagiere gegen mich ausgetauscht waren, hatte das Flugzeug keinen Wert mehr für ihn. Wenn es explodieren würde, konnte das seiner Position nicht schaden. Nein, in den Augen der meisten gottlosen Käseköppe würde er ein Held sein.
Er war ein mächtiger Mann.
MEMO
An: Minister J. P. H. Donner
FOR YOUR EYES ONLY
Kennzeichen: Three Headed Dragon
Sehr geehrter Herr Minister,
die physikalischen Untersuchungen zur Entstehung des Lichtinzidents ( LI ) haben zu keinem Resultat geführt. Psychologische Ursachen können gewiss eine Rolle spielen, doch sie lassen sich nicht objektiv bewerten. Eine psychologische Untersuchung würde zudem meine Kompetenz überschreiten (wie im Übrigen auch die physikalischen Untersuchungen). Aus den Gesprächen, die ich mit den beiden Zeugen geführt habe, kann ich freilich, nach persönlichem Dafürhalten, nichts anderes schließen, als dass beide Zeugen vernünftige, rationale Menschen sind; das gilt auch für den Jüngeren, der noch ein Kind ist.
Ich bin nochmals in das ehemalige Waisenhaus für Mädchen gegangen und habe dort erneut Messungen vorgenommen. Ich habe Videoaufnahmen von meiner Versuchsanordnung gemacht und werde sie Ihnen bei Gelegenheit zeigen. Meine Ergebnisse konnte ich einem Experten der TU Delft vorlegen.
Mit hundertprozentiger Sicherheit kann jetzt gefolgert werden, dass der LI nicht von den Deckenleuchten hervorgerufen wurde. Andere Lichtquellen gab es in der Eingangshalle vor der Exekution von Three Headed Dragon ( THD ) nicht.
Wäre es möglich, dass durch eines der Fenster, die allesamt abgeklebt waren, Licht hineingelangte? Sollte das der Fall gewesen sein, dürfte diese Lichtquelle zu schwach für den LI gewesen sein, der von den beiden Zeugen bei Tests auf die Lichtstärke einer Glühbirne von etwa vierzig Watt geschätzt wurde. Die Dauer des LI wurde von den Zeugen auf weniger als eine, aber mehr als eine halbe Sekunde geschätzt.
In der Hoffnung, Sie hiermit informiert zu haben, mit freundlichen Grüßen
Frans van der Ven
17
LEON
Leon de Winter hatte van Ast, die rechte Hand des Bürgermeisters, zurückgerufen und ihn angehört. Er hatte das Gesuch um Mithilfe bei der Formulierung der Erklärungen, die Cohen im Laufe des Abends abgeben musste, »in Erwägung gezogen« – eine lasche Antwort, aber er brauchte Bedenkzeit. Die Stadt befand sich in einer Art Schreckstarre. An den
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