Ein gutes Herz (German Edition)
Grachten herrschte plötzlich eine aufregend angstvolle Atmosphäre. Alles war anders an diesem Abend, und das war so spannend wie abstoßend. Rund um die Stopera arbeiteten Rettungsdienste mit allem, was der Stadt zur Verfügung stand. Zu der Explosionskatastrophe war noch eine Flugzeugentführung hinzugekommen. Jedermann war sich darüber im Klaren, was das bedeutete. London. Madrid. De Winter hatte keine Ahnung, ob er an diesem Abend Zeit haben würde, ins Polizeipräsidium zu fahren, um dort Entwürfe für Erklärungen zu verfassen. Er hatte andere Sorgen.
Er saß im Arbeitszimmer von Bram Moszkowicz, einem geräumigen Büro mit klassischer Anwaltseinrichtung – schwere Möbel, stilvolle Streifentapeten, barocke Gemälde in vergoldeten Rahmen. Er hatte eine Tasse Tee bekommen. Er wollte abnehmen. Auch das gehörte dazu, wenn man eine Beziehung pflegen wollte, so sein Gedanke. Mindestens zwanzig Kilo mussten runter. De Winter wartete nicht nur auf Moszkowicz, sondern auch auf Sonja, die auf einmal doch bereit war, mit Max Kohn zu reden. Warum dieser Sinneswandel? De Winter wusste es nicht.
Moszkowicz musste sich noch um einen Klienten kümmern und hatte de Winter gebeten, so lange in seinem Arbeitszimmer zu warten. Als er hereinkam, fragte er gleich: »Hast du etwas zu trinken bekommen?« Er sah die Teetasse. »Tee? Nichts anderes? Soll ich nicht ein Fläschchen Wein aufmachen?«
»Nein danke, nicht nötig.«
»Ich mache trotzdem eine Flasche Wein auf.«
Moszkowicz beugte sich über seinen breiten, massiven Schreibtisch, drückte auf einen Knopf seiner Telefonanlage und bat einen Mitarbeiter, eine Flasche Saint-Estèphe zu bringen.
»Den magst du doch so gern«, sagte er, als er sein Jackett auszog und es über einen Stuhl hängte. Er trug ein hellblaues Oberhemd mit goldenen Manschettenknöpfen. Er setzte sich de Winter gegenüber in einen Ledersessel, lockerte seine Krawatte und zündete sich eine Zigarette an.
»Der reine Wahnsinn, was die Leute manchmal von einem erwarten. Der gute Mann wollte, dass ich seinen Sohn rauspauke. Auf frischer Tat bei einem Raubüberfall ertappt. Papa hatte noch die Beute von einem früheren Überfall im Besitz. Die bot er mir unter dem Tisch an. Ob ich den Staatsanwalt bestechen könne. Ob ich bei einem Ausbruchsversuch mithelfen könne. Sind alle krank geworden? Wie die ganze Stadt? Was ist nur los, Leon? In der Stopera hat es Tote gegeben!«
De Winter zuckte die Achseln. »Jetzt sind die Niederlande an der Reihe.«
»Du meinst, nach London und Madrid?«
»Vielleicht konnten sie sich hier leichter einschleusen und ihre Vorbereitungen treffen als anderswo. Ich habe keine Ahnung, was los ist, Bram. Aber ich glaube nicht, dass es sich bei den Tätern um unzufriedene Milchbauern aus Friesland handelt.«
»Komisch, dass sie auch noch ein Flugzeug gekapert haben. Dadurch sind sie jetzt lokalisierbar. Besonders raffiniert ist das nicht.«
»Du wirst wohl bald einen Anruf bekommen«, sagte de Winter. »Ob du sie verteidigst.«
»Die lassen sich nicht festnehmen. Die sprengen sich in die Luft.«
»Oder sie lassen das Flugzeug auf die Stadt stürzen.«
»Ja, Leon, nur weiter mit diesem Irrsinn.« Dann erst wurde Moszkowicz das Ausmaß dessen bewusst, was de Winter gerade ausgemalt hatte, und voller Entsetzen fragte er. »Glaubst du das wirklich?«
»Ich glaube gar nichts, Bram. Diese Typen agieren so. Sprengen Gebäude in die Luft. Befördern auf Märkten Frauen mit ihren gefüllten Einkaufstaschen in den Tod. Schicken ihre Leute mit Bombe in der Unterhose in Flugzeuge. Oder mit Bomben im Arsch. Warum sollten sie da nicht auch ein Flugzeug auf unsere schöne Stadt donnern lassen. Oder klingt das jetzt wieder zu rechts, Bram?«
»Für mich nicht.«
De Winter setzte sich angeregt auf, als ihm etwas einfiel. »Wenn ich heute Abend jemanden sprechen wollte, dann Piet Hein Donner. Bei dem spielt sich das Drama ab. Man sollte ihn eigentlich mit einem Kamerateam begleiten. Er ist der Mann, der das jetzt alles auf dem Teller hat. Das ist sein Ding. Krisensituation. Und die Strippen ziehen.«
Eine Sekretärin brachte die Flasche Saint-Estèphe und zwei Gläser. Moszkowicz bat sie, noch ein paar weitere Gläser zu bringen.
Sie war attraktiv. Vollschlank. Fast animalische Bewegungen. Sie trug ein Kostüm mit engem Rock. Hochhackige Pumps. Zu attraktiv, dachte de Winter. Ihn würde es ablenken, wenn er so eine Frau als Assistentin hätte. Bram nicht. Oder doch.
Nachdem sie das
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