Ein gutes Herz (German Edition)
Heute. Ich wusste nicht, dass…« Kohn ließ das Ende des Satzes in der Schwebe.
»Janet war einer der Pfeiler meiner Gemeinde«, sagte der Geistliche. »Ich bin Joseph Henry, Father Joseph.«
»Max Kohn.«
»Max Kohn?«, wiederholte der Geistliche. Er blinzelte, kam um den Sarg herum, reichte Kohn die Hand und schüttelte die seine lange und heftig. Father Josephs Hand war feucht.
»Max Kohn«, wiederholte der Priester. »Ach ja, Max Kohn. Janet hat mir von Ihnen erzählt. Sie hatten im Zusammenhang mit Father Jimmy Kontakt zu ihr gesucht.«
»Stimmt.«
»Sie hat das mit mir besprochen. Die Umstände und so. Ist und bleibt natürlich was Seltsames. Aber sie freute sich darauf. Ich wusste nicht, dass sie sich schon fest mit Ihnen verabredet hatte. Ach, aber ich muss Sie kurz vorstellen.«
Father Joseph wandte sich der alten Frau zu. Ihre Beine waren mit fleischfarbenen Binden umwickelt, durch die irgendein Sekret gesickert war.
»Ria, ich muss dir jemanden vorstellen.«
Die Frau nickte und schaute hilflos auf. Der Geistliche zeigte auf Kohn und sagte: »Das ist der Mann, der Jimmys Herz bekommen hat. Ich habe dir von ihm erzählt. Das Herz von Jimmy, deinem Sohn, Jimmy«, wiederholte er. »Dieser Mann hat sein Herz.«
Als kenne er Kohn schon seit Jahren, erlaubte sich Father Joseph, mit dem Finger auf die Seidenkrawatte mitten auf Kohns Brust zu tippen.
Ria drehte langsam den Kopf und versuchte, sich auf den unbekannten Mann zu konzentrieren.
»Haben Sie Jimmy gekannt?«, fragte sie leise.
»Nein«, antwortete Kohn.
»Sie haben sein Herz«, erwiderte sie tonlos.
»Ja. Ich habe Jimmys Herz.«
»Er war ein Heiliger«, sagte Ria. »Mein Sohn war ein Heiliger. Er bekam ein Geschwür im Kopf. Das macht Gott mit den Menschen, die Er liebhat. Er möchte sie nah an seinem Thron.«
Sie streckte suchend die Hand aus, als wisse sie nicht genau, wo Kohn stehe. Er begriff, dass sie blind war. Wahrscheinlich Diabetes. Er hatte gelesen, dass viele Schwarze darunter litten. Sie hatte gar nicht gesehen, dass Father Joseph ihm auf die Brust getippt hatte.
Er nahm ihre zerbrechliche Hand in seine Hände und fühlte zarte Knöchel unter der Pergamenthaut.
Ria fragte: »Wie fühlt es sich an, das Herz eines Heiligen?«
Kohn suchte in ihren haltlosen Augen nach einer Antwort: »Wie ein Geschenk.«
»Was haben Sie bisher mit Ihrem Leben angefangen?«
Kohn sah Father Joseph einen Moment ratsuchend an. Der Geistliche lächelte wohlwollend.
»Ich habe hart gearbeitet«, war alles, was ihm einfiel.
»Jimmy auch«, sagte sie. »Jimmy wollte Gutes verbreiten. Bis der Herr ihn zu Sich rief. Sein Herz schlägt jetzt in Ihrem Körper. Die Ärzte können heute alles. Vieles. Ich bin zuckerkrank, dafür gibt es noch keine Medizin. Aber das Herz eines Toten können sie einfach in einen anderen Toten einsetzen, und der kann dann wieder leben. Waren Sie tot, als Sie das Herz meines Sohnes bekamen?«
Kohn antwortete: »Nein. Aber ich wäre tot gewesen, wenn Jimmy nicht gestorben wäre.«
Fünf Männer mit Zylinder in der Hand – wegen der niedrigen Türen konnten sie ihn nicht aufbehalten – traten fast lautlos ins Zimmer. Der Sarg wurde jetzt abgeholt.
Kohn hielt immer noch die Hand der alten Frau.
Sie sagte: »Ich werde für Sie beten, dass Jimmy für Sie betet. Janet ist jetzt bei ihm. Sie haben sich immer gut verstanden. Jimmy hat in Afrika gearbeitet, wussten Sie das?«
»Ich habe davon gelesen.«
Sie wandte ein Ohr dem Sarg zu und konzentrierte sich auf das, was sie hörte: »Sind die Träger da?«
Father Joseph beugte sich zu ihr hinunter. »Ja. Sie sind da. Wir fahren jetzt zum Friedhof.«
Sie befreite ihre Hand aus Kohns Händen.
»Kommen Sie doch noch einmal vorbei«, sagte sie. »Sie sind jederzeit willkommen. Sie sind doch schwarz, oder?«
»Nein.«
»Ein schwarzes Herz in einem weißen Körper«, spottete sie. »Das kann ja noch was werden.«
Sie musste über ihre eigenen Worte lachen.
Einer der Sargträger signalisierte Father Joseph, dass sie aufbrechen wollten, und als dieser nickte, setzte er seinen Zylinder auf und schob den schweren Rollstuhl mit der alten Frau aus dem Zimmer. Er duckte sich tief, als er durch die Tür trat. Die beiden Kinder hatten sich schon erhoben und folgten dem Rollstuhl.
Father Joseph fragte Kohn: »Was haben Sie jetzt vor?«
»Janet hatte mir Fotos versprochen und Geschichten über ihren Bruder. Vielleicht könnte ich mit ihrer Schwester sprechen?«
»Elly ist nicht
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