Ein gutes Herz (German Edition)
geschlafen hatte.
Die Beerdigung in Los Angeles fand genau in dem Moment statt, da Sonja in Amsterdam die Karte in die Hände bekam. Sie konnte jetzt höchstens noch einen Brief schreiben. Den würde Elly achtlos auf den Haufen der anderen Beileidsschreiben werfen. Und der ganze Packen würde dann nach einigen Wochen, mit einem dicken Gummiband zusammengeschnürt, in einem Schuhkarton verschwinden und unters Bett geschoben werden, bis das Haus wegen Umzugs oder Versteigerung zur Tilgung von Ellys Schulden ausgeräumt wurde. Dann würde man den Karton wiederfinden und als wertlosen Plunder in einen Papiercontainer kippen.
Was Jimmy an Besitz zusammengetragen hatte – das war nicht viel, ein paar exotische Kunstobjekte aus Holz, deren Schönheit auch für Sonja ersichtlich gewesen war –, hatte er Janet hinterlassen. Janet und Elly lebten in einem Ghetto in L. A. , wie Jimmy erzählt hatte. Nach Einzelheiten hatte Sonja nie gefragt. Sie hatte sich an seiner Liebe gewärmt, und sie hatte ihn geliebt, ohne je Ansprüche zu erheben – glaubte sie. Wenn sie an ihn dachte, tat sie es mit einem wehmütigen Lächeln.
Sie war bei ihm an dem Tag, als er starb. Jimmy hatte den Kontakt zu ihr aufrechterhalten, den Tumor aber verschwiegen. Janet rief sie an. Sie flog daraufhin nach Minneapolis und fuhr mit einem Leihwagen durch dichtes Schneetreiben nach Rochester. Die Heizung im Wagen lief auf Hochtouren, aber sie fror. Sie wohnte damals mit Nathan in Juan-les-Pins an der französischen Mittelmeerküste, immer noch auf der Flucht, immer noch von Alpträumen und Sehnsüchten und Wut gepeinigt. In Südfrankreich konnte es im Winter auch kalt sein, aber kein Vergleich zur Kälte von Minnesota.
Es war krankhaft, so lange um eine Liebe zu trauern, das brauchte ihr keiner zu sagen, auch wenn es eine uneingeschränkte, alles überstrahlende Liebe gewesen war. Nein, nicht zu Jimmy. Diese Liebe hatte einem anderen gehört.
Gut zehn Jahre, bevor sie Jimmy kennenlernte, hatte diese Liebe ihr Leben entzweigerissen. Ihre Erlebniswelt glich der eines neurotischen Mädchens aus einem Roman des neunzehnten Jahrhunderts, fürchtete sie. Sie hatte Psychiater aufgesucht, aber geheilt war sie nach wie vor nicht. Auf der Insel war Jimmy ein Ruhepol in den Stürmen gewesen, die ständig die Türen und Fenster ihres Lebens aufstießen und die Vorhänge von ihren Haken rissen.
Ein Jahr hatte das mit Jimmy gedauert. Sein Körper unter dem schwarzen Priestergewand war stark, und der Umstand, dass er Geistlicher war, machte den Sex umso heißer und ungezügelter. Sie trafen sich immer nur auf der anderen Seite der Insel, wo die Wahrscheinlichkeit, einem Schüler oder Lehrer seiner Schule zu begegnen – er unterrichtete an einer katholischen Schule –, sehr gering war. Sie hatte Geld und ließ ihn in eine Hotelsuite kommen. Er verkleidete sich als Tourist oder Surfer, immer mit Sonnenbrille und Baseballkappe, und damit unidentifizierbar für die, die den Franziskaner auf der Nordseite der Insel kannten. Wenn sie ihn heiraten wolle, würde er aus der Kirche austreten, behauptete er, wenn er befriedigt neben ihr lag und nach den in der Dominikanischen Republik hochgehaltenen alten Spielregeln eine Zigarette rauchte, während er ihren Körper betrachtete, den Körper der verbotenen Frau, der er mit größter Hingabe Genuss bescherte. Sein schwarzer Leib neben ihrem weißen – in ästhetischer Hinsicht vollkommen. Er war muskulös, ohne dass er etwas dafür zu tun brauchte. Sie musste schon etwas dafür tun, ihr Gewicht zu halten. Sie joggte frühmorgens am Strand entlang, bevor es zu heiß und jeder Schritt unter der Sonne zu einem unmöglichen Kraftakt wurde. Aber Sex ging immer. Im schattigen Hotelzimmer, unter rotierendem Ventilator, draußen das schrille Hupen entrüsteter Taxifahrer und dann und wann aus einem vorüberfahrenden Auto Fetzen karibischer Musik. Manchmal schlief sie ein und wurde erst bei Sonnenuntergang wieder wach. Dann hatte Jimmy das Zimmer längst verlassen und gab in der Schule Nachhilfeunterricht, besuchte einen Kranken oder tröstete Hinterbliebene. Er war ein guter Mensch. Was du siehst, bekommst du, sagte er in aller Schlichtheit, und das war schön, denn er war lieb und zärtlich. Aber er war nicht geheimnisvoll. Er war gut, und es quälte ihn, dass er für seine Berufung zu geil war. Er war energisch und zielbewusst, wenn sie zusammen waren und schwitzend die Stellung änderten, aber sie wusste, dass ihn
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