Ein gutes Herz (German Edition)
das allseits als eines der besten der Welt galt. Im zurückliegenden Jahr war Kohns Leben mit der Mayo Clinic sowie, indirekt, mit der Philosophie des Franz von Assisi, die man dort pflegte, verwoben worden. In seinem Leib klopfte jetzt das Herz eines Franziskaners, des Bruders von Janet, die nun selbst gestorben war.
»Wissen Sie, woran sie gestorben ist?«, fragte Kohn den Polizisten.
»Von einem Querschläger getroffen. Eine Schießerei zwischen rivalisierenden Gangs. Sie stand im falschen Moment am falschen Ort.«
Kohn hatte sie nicht gekannt, aber durch das Herz ihres Bruders – ein einfacher Muskel von nicht einmal dreihundertfünfzig Gramm – fühlte er sich unerklärlich tief mit ihr verbunden. Er musste kurz mit den Tränen kämpfen, als trauere er um eine nahe Angehörige.
Er schluckte und sagte: »Können Sie mir weiterhelfen? Kennen Sie die Familie? Janet hat doch eine Schwester, Elly.«
Der Polizist nickte: »Ja, ich kenne sie. Mein Bruder ging mit Jimmy, der vor einem Jahr gestorben ist, zusammen zur Schule. Aber dann sind Sie wohl nicht wegen der Beerdigung hier, oder?«
»Ich wusste nicht, dass Janet tot ist, nein.«
Kohn blickte auf die Menschen rund um den Leichenwagen, eine Gruppe stilvoll in Schwarz gekleideter Trauernder mit Gesichtern, die starr waren vor Kummer und Wut.
Kohn fragte: »Hat man die Täter gefasst?«
»Nein. Noch nicht. Eine Frage der Zeit. Es war zwar vermutlich ein Querschläger, aber sie werden sich trotzdem damit brüsten. Wir kriegen das schon raus, die schnappen wir.«
»Kennen Sie Elly? Können Sie sie mir zeigen?«
Der Polizist schüttelte den Kopf: »Ich war vor einer Stunde schon einmal hier, und da war sie betrunken. Sie ist nicht hier draußen. Wird wohl im Haus sein.«
Kohn bedankte sich bei ihm und ging an den Trauernden vorbei zu dem Holzbungalow, dessen Veranda mit weißen Lilien und weißen Samtbändern geschmückt war. Einige ältere Leute warteten in Sesseln unter dem Vordach auf den Aufbruch des Leichenzugs. Kohn war der einzige Weiße, aber niemand schenkte ihm Beachtung. Er trat ins Haus und gelangte in einen kleinen Vorraum. Auf einem Tisch brannten Dutzende weißer Kerzen. Menschen standen mit Kaffeebechern in der Hand darum herum, alle in Schwarz gekleidet. Er ging in das angrenzende Zimmer. Dort stand, mit noch geöffnetem Deckel, ein großer weißer Sarg auf einem Chromgestell mit Rädern.
An einer Wand, etwa zwei Meter vom Sarg entfernt, saßen drei Menschen, die nahe Angehörige sein mussten. Eine rundliche alte Frau mit weißem Kraushaar, im Rollstuhl sitzend, mit leerem Blick vor sich hinstarrend. An ihrer Seite ein etwa sechsjähriger Junge und ein ein, zwei Jahre jüngeres Mädchen mit überdimensionaler weißer Schleife im schwarzen Haar, beide schauten zu ihm auf. Ihre großen Augen waren vom Weinen gerötet, und ihr Blick auf ihn war voller Misstrauen, als könne er den Sarg stehlen. Vielleicht dachten sie, er sei Polizist. Er setzte ein leises, mitfühlendes Lächeln auf, aber sie reagierten nicht darauf, sondern beäugten ihn unsicher.
Ein Weißer, klein, nicht älter als vierzig, den weißen Kragen des Geistlichen um den Hals, kam auf ihn zu und sagte: »Wir haben noch ein paar Minuten, Sie können in Ruhe Abschied von Janet nehmen.«
Kohn nickte und trat an den Sarg, die Hände vor dem Bauch gefaltet, fromm, als wolle er beten.
Janet lag in einem weißen Kleid auf einem Bett aus weißer Seide, die Hände wie Kohn auf dem Bauch. Sie hatte ein schmales Gesicht mit ausgeprägten Wangenknochen. Er wusste nicht, wo sie von der Kugel getroffen worden war, und er sah auch keine Wunde oder überschminkte Wunde. Janet war so schmal, dass noch jemand neben ihr Platz gehabt hätte. Im Internet hatte Kohn einige Bilder von Jimmy Davis gefunden; Janet hatte wenig Ähnlichkeit mit ihrem Bruder. Kohn konnte nicht anders, als sich vorzubeugen und sie auf die kalte, leblose Stirn zu küssen.
Als er sich wieder aufrichtete, fühlte er den Blick des Geistlichen auf sich, der nun auf der anderen Seite des Sarges stand. Sein Gesicht unter dem hellblonden Haar war erhitzt und hochrot, und er wischte sich mit einem Taschentuch den Schweiß von den Wangen. Seine blauen Augen verrieten jungenhafte Neugierde.
»Sie kannten Janet gut?«, fragte er.
»Nein. Nicht gut. Wir haben vor einer Woche miteinander telefoniert. Und wir haben einige Mails ausgetauscht.«
Der Geistliche nickte, aber Kohn sah seine Verwirrung.
»Ich war mit ihr verabredet.
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