Ein gutes Herz (German Edition)
ansprechbar.«
»Janet sagte vorige Woche, dass sie mir einen Umschlag mit allerlei Dingen zu ihrem Bruder geben wollte.«
»Tut mir leid, Herr Kohn, ich weiß nicht, ob sie noch dazu gekommen ist. Sie ist vor fünf Tagen gestorben, in der Auffahrt, vor der Garage. Sind Sie morgen noch in der Stadt?«
»Ja.«
»Vielleicht geht es Elly dann etwas besser. Kommen Sie mit auf den Friedhof? Im Wagen mit Oma und den Kindern ist noch Platz.«
»Die Kinder… Sind sie von Elly?«
Father Joseph warf einen Seitenblick zu dem weißen Sarg, der von den Trägern geschlossen und vorsichtig aus dem Zimmer bugsiert wurde. Dann winkte er Kohn mit einer zwingenden Handbewegung näher.
Kohn beugte sich zu ihm.
Der Geistliche flüsterte: »Janet und Elly sind beide unfruchtbar. Ria hat ihre beiden Töchter von einem Onkel bekommen, der sie vergewaltigt hat. Ihr Sohn war aber von einem anderen Mann. Ihr Sohn konnte sich fortpflanzen, obwohl er als Franziskaner das Keuschheitsgelübde abgelegt hatte. Jimmy hatte gesunden Samen. Die Kinder sind von Jimmy. Janet hat sie aufgezogen.«
Er sah Kohn so durchdringend an, als wolle er ihm in den Kopf hineinschauen.
»Janet bekam jeden Monat Geld von ihrem Bruder. Nach seinem Tod hat sie seine Kunstsammlung verkauft, die er in Afrika zusammengetragen hatte, als er dort bei der Mission arbeitete. Aber das Geld war jetzt fast aufgebraucht. Das war einer der Gründe dafür, dass sie sich mit Ihnen treffen wollte. Sind Sie reich?«
»Ja«, antwortete Kohn.
»Dann haben Sie jetzt eine Verantwortung. Kommen Sie mit?«
MEMO
An: Minister J. P. H. Donner
FOR YOUR EYES ONLY
Kennzeichen: Three Headed Dragon
Sehr geehrter Herr Minister,
in Bezug auf die Untersuchung des sogenannten Lichtinzidents (im Folgenden LI ) darf ich Ihnen mitteilen, dass sich recht kuriose Schlussfolgerungen aufdrängen. Meiner Ansicht nach ist es daher von Belang, Sie zu einem frühen Zeitpunkt über die Fortschritte zu informieren.
Die beiden Hauptzeugen haben das Land verlassen. Ich stehe per E-Mail und Skype mit ihnen in Verbindung. Zwölfmal wurden die Zeugen befragt – »verhört« gäbe ein falsches Bild der Verhältnisse wieder. Ihre Erklärungen sind konsistent.
Im Rahmen der Ereignisse scheint dieser LI von untergeordneter Bedeutung zu sein. Meine Faszination basiert vor allem auf der Unerklärlichkeit des LI . Alle anderen Umstände konnten analysiert und auf ihren logischen oder psychologischen Kern zurückgeführt werden. Der LI nicht.
Der LI ist, oberflächlich betrachtet, die Reflexion eines Lichtstrahls durch eine glatte, ebene Oberfläche. Dabei ist der Einfallswinkel gleich dem Ausfallswinkel, so das physikalische Gesetz. Siehe Graphik:
Man hat vor Ort Messungen angestellt und dabei die genaue Stelle auf der ebenen Oberfläche, die Höhe der Deckenleuchten in Bezug zu dieser Oberfläche und dem Fußboden und die Position der beiden Zeugen berücksichtigt.
Die ersten Testergebnisse scheinen zu belegen, dass die Lichtquelle (sprich: die Deckenleuchten) unmöglich in der Weise durch die ebene Oberfläche reflektiert worden sein kann, dass es zu der von den Zeugen geschilderten optischen Wahrnehmung kam.
Es gab keine anderen Lichtquellen außer drei Deckenleuchten; diese befinden sich sieben Meter dreißig über dem Fußboden. Es handelt sich hier um ein Gebäude aus dem Jahre 1895, ein ehemaliges Waisenhaus für Mädchen. Der Granitfußboden wurde 1998 aufgearbeitet und ist trotz der intensiven Beanspruchung in einem hervorragenden Zustand. Eine Reflexion des Deckenlichts durch diesen Boden kann niemals zu einem LI führen, wie er von den Zeugen beschrieben wurde.
In der Hoffnung, Ihnen hiermit dienlich gewesen zu sein, mit freundlichen Grüßen
Frans van der Ven
3
SONJA
Die Trauerkarte hatte sie auf Anhieb aus der Post herausgefischt. Zwischen den üblichen Werbesendungen und Bankbriefen mit Kontoauszügen stachen Trauerkarten sofort ins Auge. Sie waren immer gleich nackt und gnadenlos. Die Karte war an ihre alte Adresse in Juan-les-Pins geschickt und nach Amsterdam weitergeleitet worden.
Sie hatte Janet kurz vor Jimmys Tod kennengelernt und danach nur noch sporadisch Kontakt mit ihr gehabt. Eine engere Beziehung hatte sich nicht zwischen ihnen entwickelt. Sie hatten beide keinen Bedarf. Janet und ihre Schwester Elly legten keinen Wert darauf, eine konkrete Bestätigung für das zu erhalten, was sie ohnehin schon wussten – dass ihr Bruder, der zölibatäre Priester, mit Frauen
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