Ein gutes Herz (German Edition)
hasse ich auch meinen Vater. Ich habe mich immer davor gedrückt. Ich wollte das nicht an mich heranlassen. Ich bin vor dir geflohen. Aber auch vor der Erinnerung an ihn. Er war lieb zu mir. Betete mich an. Ein jüdischer Vater, der mir alles gab. Aber was seine Geschäfte betrifft, war er… ein Schurke.«
»Ich habe mich verändert, Sonja.«
»Durch Jimmys Herz?«, erwiderte sie ironisch.
»Durch sein Herz, ja.«
»Du wirst doch wohl nicht auf deine alten Tage noch zum Mystiker werden, Max.«
»Ich empfinde, was ich empfinde.«
»Du musst mir helfen.«
»Ich tue alles für dich.«
»Alles? Aus deinem Mund klingt das gefährlich.«
Noch immer ließ sie ihn nicht in ihre Augen sehen, strafte ihn damit, dass sie den Blick abwandte. Sie schaute auf das, was auf dem Tisch stand, auf ihren Kaffee, ihre Hände. Sie hatte noch keinen Schluck getrunken.
Kohn fragte: »Was soll ich tun?«
»Ich habe einen Sohn«, sagte sie regungslos. »In dem Jahr, nachdem ich vor dir geflohen bin, wurde ich schwanger. Ein Sohn. Nathan. Er ist, was ein Sohn für eine Mutter ist. Alles.«
»Wer ist der Vater?«
»Du kennst ihn nicht. Mein Sohn ist vollkommen. Er ist genau der Mensch, den ich immer auf die Welt bringen wollte. Ein lieber, guter, schöner Mensch. Du weißt nicht, was heute Morgen passiert ist?«
»Nein«, sagte Kohn. Jetzt offenbarte sich ihm die Sinngebung. Er hegte keinen Zweifel daran. Es ging um Sonja. Um ihren Sohn.
»Heute Morgen haben ebendiese Jungen, diese marokkanischen Pestbeulen, eine Grundschule besetzt. Bei mir im Viertel. Die Vondel School Vereeniging, VSV . Mein Sohn geht auf diese Schule. Mein Sohn ist jetzt dort. Sie halten ihn gefangen. Zusammen mit zweihundertneunundneunzig anderen Kindern. Und fünfundzwanzig Angestellten. Du musst mir helfen. Ich möchte meinen Sohn zurück. Unversehrt. Atmend und lieb und klug, genau so, wie er heute Morgen weggegangen ist. Und mit ihm alle seine Freunde und Freundinnen. Alle, verstehst du?«
»Ja«, sagte er. »Ich werde dafür sorgen, dass dein Sohn zu dir zurückkehrt. Gesund und unversehrt. Ich werde mich dafür einsetzen. Ich finde schon einen Weg. Ich habe Kontakte. Zu Job Cohen zum Beispiel. Zu Donner. Was wollen sie mit dieser Geiselnahme erreichen?«
»Sie wollen die Kinder gegen einen Politiker austauschen. Geert Wilders heißt er.«
Kohn nickte und sagte: »Ich habe von ihm gelesen.« Eine unmögliche Bedingung war das. Die zuständigen Instanzen würden so etwas niemals dulden. Sie konnten diesen Politiker schwerlich an Leute ausliefern, die ihn aller Wahrscheinlichkeit nach töten würden.
»Das Flugzeug ist nach Schiphol zurückgekehrt. Um die Geiselnehmer der Schule mitzunehmen, wenn sie bekommen haben, was sie wollen.«
»Das Flugzeug ist wieder da?«, fragte Kohn überrascht.
»Ja.«
Während er geschlafen hatte, war die dritte Stufe der Terrorkampagne aktiviert worden. Kohn machte sich bewusst, dass er da hineingezogen werden sollte.
Das war seine Bestimmung.
Sonja fixierte ihn jetzt und richtete mit tödlicher Entschiedenheit den Zeigefinger auf ihn. »Der Sohn deines Freundes ist der Anführer der Geiselnehmer, Max. Sie werden von einem Jungen angeführt, der Sallie Ouaziz heißt. Er ist der Sohn deines guten Freundes Kicham Ouaziz. Somit hält jetzt der Sohn des Mörders meines Vaters meinen Sohn gefangen. Darauf läuft es hinaus, Max. Ich finde, es ist an dir, etwas zu unternehmen. Tust du das? Es liegt jetzt in deiner Verantwortung, das Ganze zu beenden. Ich will mein Kind zurück. Das bist du mir schuldig. Hast du gehört, Max?«
»Ja«, sagte er, während das Gefühl tiefer Ruhe und vollkommener Gewissheit Besitz von ihm ergriff. »An diesen Punkt hat mich das Leben geführt. Ich werde deinen Sohn retten, Sonja.«
»Gut«, sagte sie. »Und verrückterweise glaube ich dir.«
Sie schlug plötzlich die Hände vors Gesicht. Ihre Schultern bebten. Kohn erhob sich, erkannte aber, dass er sie nicht anfassen durfte.
Er zog eine Handvoll Papiertücher aus einer Box im Badezimmer. Sie nahm sie an, tupfte ihre Augen und Wangen ab, warf das Papierknäuel auf den Tisch und verließ, ihre Sonnenbrille aufsetzend, das Zimmer.
»Hast du ein Foto von deinem Sohn?«, fragte er, bevor die Tür hinter ihr zufiel.
Sie blieb stehen, hielt die Tür mit einem Bein auf und zog ein kleines Kuvert aus ihrer Gesäßtasche. Er nahm es entgegen, und sie zog das Bein weg, so dass die Tür hinter ihr ins Schloss fiel.
Das Kuvert war in ihren engen
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