Ein gutes Herz (German Edition)
fürchte schon, ja.«
»Er wird erfahren, dass Nathan…«
»Vielleicht kannst du das verschweigen.«
»Ja, so doof ist er«, sagte sie sarkastisch. Sie wandte sich wieder de Winter zu. »Er sieht das sofort. Auf den ersten Blick. Sein Sohn. Und dann wird er seinen Freund Ouaziz bitten, seinen Sohn zu retten. Nein. Tut er nicht. Er macht es selbst. Ich kenne ihn. Und dann habe ich Nathan für immer verloren. Naat wird dann sein Sohn…«
»Unsinn, deine Phantasie geht mit dir durch. Erster Schritt: mit Max reden. Er soll Kontakt zu Ouaziz aufnehmen. Und der soll mit seinem Sohn reden.«
»Und dann sollen sie nur Nathan freilassen? Und was ist mit den anderen Kindern? Seinen Freunden? Johan, Pietertje, Gijsje? Und Lia, seiner Freundin? Himmelherrgott! Wir sind hiergeblieben, weil Naat zu einer Geburtstagsparty wollte! Von einem Mädchen aus seiner Klasse! In das er sich verguckt hat! Deshalb sind wir noch nicht weg!«
»Schiphol war zu, als du wegwolltest.«
»Ich hätte mir einen Leihwagen nehmen können! Ich hätte Leute ansprechen können, ob sie uns nach Paris fahren! Geld spielt keine Rolle!«
De Winter trat auf sie zu und machte einen erneuten Versuch, sie bei den Schultern zu fassen. Jetzt ließ sie es zu.
»Max ist der Schlüssel zu all dem. Bram weiß, wie wir ihn erreichen können. Okay?«
Sie nickte stumm, ohne ihn anzusehen.
»Ich setze mich jetzt noch kurz zu den beiden ins Auto.«
Er küsste sie auf die Wange, spürte aber eine leichte Abwehrbewegung von ihr. Er ließ sie los und verließ den Raum.
Als er in der Diele stand, hörte er sie sagen: »Was wirst du in Sachen dieser Partei machen?«
»Gar nichts«, antwortete er. »Ich bin doch nicht verrückt. Er ist ein netter Mensch. Aber lebensmüde. Und ich möchte gerne noch miterleben, dass meine Kinder Kinder bekommen. Und ich möchte Nathan aufwachsen sehen.«
Er zog die Tür auf und ging zu dem Mercedes-Transporter hinüber. Einer der DKDB -Männer zog die Schiebetür für ihn auf, damit er einsteigen konnte.
27
MAX
Moszkowicz’ Anruf riss Max Kohn aus dem Schlaf. Sonja wolle mit ihm sprechen. Sie werde in zehn Minuten im Amstel Hotel sein.
Es war schon Viertel nach zwölf, aber er bestellte sich ein Frühstück und ging unter die Dusche. Er war erst um sieben Uhr ins Bett gegangen. Hatte die ganze Nacht den Fernseher angehabt und die Geschehnisse in Schiphol verfolgt. Kichie hatte ein paarmal angerufen. Er war enttäuscht, ja gekränkt. Aber Max konnte ihm nicht helfen. Nicht mehr.
Kichie hatte Stunden bei der Grenzpolizei in Schiphol zugebracht. Er hatte mit dem Leiter der Niederländischen Spezialeinheiten, einem Mann namens van der Ven, gesprochen, und er hatte, während seine kugelsichere Weste bereitlag, auf den Moment gewartet, da die Abmachung mit den Entführern perfekt sein würde. Sallie war an Bord, wo sonst konnte er sein?
Kichie sollte unbewaffnet an Bord der Maschine gehen und sich Zeit für ein Gespräch mit den Jungen nehmen. Wenn sie nicht high waren, würden sie ihm zuhören, und es bestünde die Chance – theoretisch –, dass sie sich ergaben. Kohn war davon überzeugt, dass bloßes Reden nichts helfen würde. Den Jungen musste ein reeller Ausweg angeboten werden – nur dann würden sie zu der Einsicht gelangen, dass sie genügend Unheil angerichtet hatten und ihre Aktion beenden konnten. Es handelte sich schließlich um Fanatiker.
Kichie hatte Donner in der Nacht nicht mehr gesehen. Van der Ven erzählte ihm, dass der Minister zwischen Den Haag und einem anderen Polizeigebäude in Schiphol, wo er seine Schaltzentrale eingerichtet hatte, hin- und herfuhr. Es war eine lange, frustrierende Nacht geworden. Kichie konnte nichts tun. Den Berichten freigelassener Passagiere entnahm man, dass Kichies Sohn Sallie nicht an Bord war. Die Entführer hatten kein Interesse an Ouaziz und wollten über einen etwaigen Besuch von ihm gar nicht erst reden. Über Huren, DVD s, Essen, Trinken wollten sie reden. Sie verlangten die Belieferung mit Getränken und Verpflegung, von Pizza über Hummus bis hin zu marokkanischen Gerichten. In einem Anfall von Übermut hatten sie über einen Radiosender Mädchen zu einem Rundflug mit ihnen aufgerufen. Und es hatten sich mehrere Grüppchen tolldreister Freundinnen gemeldet, aufgekratzte, beschwipste blonde und blondierte holländische Mädchen. In Amerika nannte man so was white trash, Kichie kannte den Ausdruck.
Im Flugzeug befanden sich sechs Jungen. Die verschwundene
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