Ein gutes Herz (German Edition)
Jeans ein wenig verformt worden. Kohn rief Kichie an.
»Warum hast du mich nicht angerufen?«, fragte er, während er das Kuvert öffnete.
»Ich muss das alleine machen, Max. Ich bin verantwortlich. Sie sind in diese Schule gelangt… Sallie hat Pläne bei mir gefunden… So muss es wohl gewesen sein, denke ich. Pläne für etwas anderes. Sie lagen in einem Depot in Luxemburg. Mehr kann ich jetzt nicht sagen.«
»Wo bist du?«
»Ich bin auf dem Weg nach Schiphol. Ich treffe mich mit dem Minister.«
Das Foto, das Kohn aus dem Kuvert zog, zeigte den Jungen, den er gestern Abend auf der Brücke am Muntplein gesehen hatte. Dunkle Haare, große, sanftmütige Augen. Auf der Rückseite stand von Hand geschrieben: Nathan.
Er sagte: »Ruf mich an, wenn du in Schiphol bist. Ich komme dann zu dir. Das machen wir zusammen.«
Er unterbrach die Verbindung und betrachtete das Foto. Nathan. Sonja war nicht ganz ehrlich gewesen. Dies war sein Sohn. Deswegen war er hier. Jimmy hatte ihn zu seinem Sohn geführt.
28
PIET HEIN
Im schalldichten Besprechungsraum seines Hauptquartiers auf dem Flughafen Schiphol erwartete Piet Hein Donner das Eintreffen von Bürgermeister Job Cohen. Seit dem gestrigen Nachmittag hatte seine Hauptbeschäftigung darin bestanden, Szenarien, Strategien, Ausweichmanöver durchzuspielen.
Momentan trieb ihn der dreiste Coup von Geert Wilders um. Das melodramatische Spektakel, das der Mann vor den Augen der weltweiten Öffentlichkeit inszenieren wollte – alle internationalen Nachrichtensender hatten jetzt ein Team in Amsterdam –, musste unbedingt verhindert werden. Die Besetzer der Schule rechneten gar nicht mit einem Austausch, so Donners Einschätzung. Es ging ihnen nur darum, Wilders zu demütigen. Dass Wilders sich ausliefern ließ und damit zum Helden wurde, konnte nicht im Interesse der Besetzer sein. Er sollte sich drücken. Dann wäre er in der öffentlichen Meinung und in jeder Kneipe als Feigling abgestempelt, und sie würden abziehen. Volltreffer. Aber nun versuchte Wilders, das Drama zu seinen Gunsten zu wenden. Sich als Hauptdarsteller ins Spiel zu bringen. Das konnte ihm eine Popularität einbringen, wie sie einst Pim Fortuyn genossen hatte, und womöglich hievte es ihn sogar auf den Sitz des Ministerpräsidenten. Damit war dem Land, Donners Überzeugung nach, nun wirklich nicht gedient.
Doch der Kreis begann, sich zu schließen, und die Schnelligkeit, mit der sie operieren konnten, verschaffte Donner einen Vorteil. Er konnte Wilders zuvorkommen. Wilders hatte für sieben Uhr abends, kurz vor Beginn der Nachrichtensendungen, eine Pressekonferenz angekündigt. Dem Kabinett hatte er bereits mitgeteilt, was er sagen würde. Das Land stand jetzt schon kopf. Nach der Pressekonferenz würde das Chaos perfekt sein. Die Minister hatten Wilders mit offenem Mund angehört.
Van der Ven hatte Donner über den Vorschlag von Papa Ouaziz informiert, dass er in die Schule eindringen und seinen Sohn und die anderen Geiselnehmer – der verschollene Teil der Fußballmannschaft, sie hatten jetzt alle aufgelistet – dort rausprügeln könne. Kein schlechter Plan. Vielleicht ließ sich diese Geiselnahme tatsächlich auf die traditionelle Weise lösen, mittels Vätern, Müttern, Angehörigen und Freunden. Das ABC der klassischen Geiselnahmeliteratur. Die Jungen waren fanatisch, aber Papa Ouaziz war auch nicht ohne. Schwerverbrecher. Hatte Morde begangen und jahrelang erfolgreich im Drogenhandel operiert, zusammen mit dem berüchtigten Max Kohn. Van der Ven hatte keine Ahnung, warum Kohn ausgerechnet zum jetzigen Zeitpunkt in der Stadt aufgetaucht war, aber sie konnten ihn gebrauchen. Wenn die Geschichten zutrafen, die man sich von den beiden erzählte, waren Kohn und Ouaziz als Gespann den Geiselnehmern gewachsen. Ihre eigenen Spezialeinheiten könnten die Sache zwar auch erledigen, doch das Gewaltpotential wäre ungleich höher, und damit gefährdete man die Kinder. Das Risiko wollte niemand auf sich nehmen.
Derzeit gab es drei Optionen. Die Nummer eins sah auf den ersten Blick gefährlich aus, war es Donners Meinung nach aber nicht. Das Ultimatum lautete: »Wir wollen Wilders vor Einbruch der Dunkelheit, sonst töten wir stündlich einen Lehrer, und wenn keine Lehrer mehr da sind, muss stündlich ein Kind dran glauben.« Es war undenkbar, dass diese Jungen das wirklich tun würden. Donner hatte psychologische Dossiers zu jedem der Besetzer. Alle Abteilungen hatten intensiv zusammengearbeitet und sofort
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