Ein gutes Herz (German Edition)
Profile erstellt. Donner erwartete, dass das Ultimatum ohne Konsequenzen verstreichen würde. Sie würden den Geiselnehmern einen sicheren und geschützten Abzug garantieren. Die Jungen durften mit dem Schulpersonal zu dem gekaperten Flugzeug fahren und würden erneut die Starterlaubnis erhalten. Sie waren keine Mörder. Im Flugzeug hatten sie niemanden bedroht oder verletzt. In der Schule war es zwar zu einem Gerangel mit einem Vater gekommen, einem Militär, der sich auf einen der Geiselnehmer geworfen hatte. In Notwehr hatte daraufhin einer von den Jungen geschossen. Gewiss, in der Stopera hatte es Tote gegeben – der Junge, mit dem sie telefonisch in Kontakt standen, war jedes Mal außer sich vor Wut, wenn diese Toten zur Sprache kamen. Er wies jede Schuld und Verantwortung dafür zurück. Er erweckte den Anschein, dass er nicht auf Tote aus war. Donner glaubte ihm.
Die zweite Option war: Wilders’ Pressekonferenz würde Option eins konterkarieren. Dann käme es zur großen Wilders-Show. Vielleicht auch eine Lösung ohne Blutvergießen, aber eine Katastrophe für die Zukunft. Das musste genauso verhindert werden wie unnötige Opfer.
Option drei: das direkte Eingreifen von Ouaziz und Kohn, zwei anonymen Figuren, zumindest für den Moment.
Van der Ven konnte noch nicht sagen, wie die Besetzer in die Schule gelangt waren. Auf der Straßenseite des Schulgebäudes hingen sechs Überwachungskameras, deren Bilder von einer Alarmzentrale aufgezeichnet wurden. Auf den Bändern – das waren keine Magnetbänder mehr, sondern es wurde digital auf Festplatten gespeichert – waren keinerlei Aktivitäten auszumachen. Die Jungen mussten also über ein angrenzendes Gebäude in die Schule hineingekommen sein. Oder über das Dach. Donner würde Ouaziz und Kohn die Genehmigung geben, das Gebäude zu betreten. Ob auf Papa Ouaziz geschossen würde? Nein. Sie würden ihn einlassen, und dann würde der Vater-Sohn-Prozess seinen Lauf nehmen.
Die Straße vor der Schule wurde gegen die Medien abgeschirmt. Der Hubschrauberverkehr über der Stadt war untersagt worden. Die beiden Kriminellen konnten unter Ausschluss der Medien die Straße betreten und in die Schule hineingehen. Wenn sie scheiterten, konnte Wilders seinen Staatsstreich machen – darauf lief es Donners Meinung nach hinaus. 2004, nach dem Mord an van Gogh, hatten sie Ayaan Hirsi Ali gegen ihren Willen aus dem Land geschmuggelt und einige Wochen lang incommunicado gehalten, bis ihre Freunde in aller Öffentlichkeit unangenehme Fragen hinsichtlich ihres Aufenthaltsortes zu stellen begannen. So etwas würde mit Wilders nicht gelingen. Ihn konnte man nicht wie Ayaan seinerzeit mit irgendeinem Schmus an der Nase herumführen. Doch wenn es sein musste, wenn wirklich das Interesse des Staates auf dem Spiel stand, hatte Donner das Erforderliche zu tun. Er würde später am Tag ein Telefongespräch mit der Königin führen. Solange sich Wilders in einem Fahrzeug befand, das unter Aufsicht des DKDB stand, hatten sie Kontrolle über ihn. Die Anrufe auf seinem Handy konnten ganz leicht aus dem Äther gefischt werden.
Sie konnten die moralischen Sieger sein, wenn die Kinder freigelassen wurden und der Abzug ohne Blutvergießen über die Bühne ging. Van der Ven würde Ouaziz und eventuell auch Kohn mit einer winzigen Kamera und einem Mikrophon ausstatten. Dann konnten sie alles mithören und mit ansehen. Notfalls ließ sich dann immer noch eingreifen, wenn das unvermeidlich werden sollte – aber lieber nicht. Donner gab sich, was die Nachwehen betraf, keinen Illusionen hin. Nach ein paar Tagen würde die Trauer um die Toten in der Stopera wieder die Oberhand gewinnen, und politisch würde man seinen Kopf fordern. Schäden im Umfang von mehreren hundert Millionen Euro, sechs Tote, zig Verletzte und Boujeri auf freiem Fuß. Und vielleicht – Gott behüte, und wenn nicht Er, dann Donner – Wilders als Geisel in irgendeinem asiatischen Kaff, von dem niemand je gehört hatte oder dessen Namen korrekt aussprechen konnte, aber aus dem er eines Tages als der große King zurückkehren würde. Es schien lebensgefährlich zu sein, was er vorhatte – dass er sich im Tausch gegen die Kinder den Geiselnehmern auslieferte –, doch Sallie Ouaziz würde ihn nicht töten. Nein, Wilders konnte sich damit unsterblich machen. Überlebensrisiko: hoch. Risiko der Enthauptung: ach…
Die Tür ging auf, und Job Cohen trat ein. Genau wie Donner von dramatischem Schlafmangel gezeichnet. Schiphol hatte
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