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Ein gutes Herz (German Edition)

Ein gutes Herz (German Edition)

Titel: Ein gutes Herz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon de Winter
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voll in den Solarplexus, das Nervenzentrum des Bauchraums, wodurch die Blutversorgung des Gehirns abfiel und der Junge das Bewusstsein verlor. Ihm knickten die Beine weg, und er sackte in sich zusammen. Kohn bemächtigte sich seiner Waffe.
    Neben ihm rang Ouaziz mit seinem Sohn. Er versuchte, der MP7 habhaft zu werden, doch Sallie setzte sich vehement zur Wehr und strampelte wild mit den Beinen, um seinen Vater von sich abzuschütteln.
    Es ist abscheulich, Vater und Sohn miteinander kämpfen zu sehen, dachte Theo.
    Sallie kam an den Abzug der Waffe, um die er mit seinem Vater rang, und aus ihrem Lauf löste sich eine röhrende Salve. Hinter ihnen platzten Steinsplitter aus der Treppe.
    Unmittelbar darauf wurde anderswo im Gebäude das Knattern automatischer Waffen laut. Es kam von oben – und aus der Aula. In den Räumen, in denen sich Sallies Freunde aufhielten, bohrten sich Kugeln in Wände und Decken. Hundert Jahre alter Stuck rieselte herab.
    In der Aula brüllten Hunderte von Kindern ihre Angst heraus. Die Erwachsenen riefen: »Hört auf mit der Ballerei! Seid ihr verrückt geworden? Ihr bringt die Kinder in Gefahr!«
    Kohn richtete die erbeutete Waffe auf Sallie. »Sag ihnen, dass sie das Feuer einstellen sollen! Ich garantiere dir, dass die Spezialeinheit binnen fünf Minuten das Gebäude stürmt!« Sallie blickte stumm und wie angewidert auf seinen Vater, der die Heckler & Koch in den Händen hielt und selbstbewusst vor ihm stand. Kohn und Ouaziz hatten jetzt die Kontrolle über die Situation in der Eingangshalle.
    Kohn schrie: »Hört auf zu schießen! Das hat keinen Sinn! Ihr provoziert nur, dass die Schule gestürmt wird! Hört auf!«
    Das Feuer wurde eingestellt. Jemand rief: »Wer ist das?«
    Ouaziz rief zurück: »Ich bin Kicham. Sallies Vater!«
    »Was suchst du hier?«
    »Ich bin da, um euch zu helfen!«
    Was hatte Theo gemacht? Nichts. Er hatte zugesehen, er hatte zugehört, er hatte verfolgt, wo die Kugeln einschlugen – als Schutzengel war er machtlos. Die Kräfte im Leben waren um so vieles größer als im Tod. Er war beschämt und fragte sich, wie er Jimmy seine Machtlosigkeit erklären sollte.
    »Hol das Kind aus der Aula«, sagte Ouaziz zu Kohn. »Hol das Kind!«
    Der Junge zu Kohns Füßen, Karel, kam stöhnend zu sich und zappelte mit den Beinen, um seine Schmerzen besser ertragen zu können. Sein Gesicht war blutüberströmt. Kohn fasste ihn scheinbar ungerührt bei den Schultern und schüttelte ihn. »Sind Kumpel von dir in der Aula? Antworte! Sind da welche von euch?«
    Aber der Junge war unfähig, einen Ton herauszubringen.
    Ouaziz redete auf seinen Sohn ein: »Sag deinen Kumpeln da drinnen, dass sie einen Jungen gehen lassen sollen, der Nathan heißt. Nathan Verstraete. Sag es!«
    Sallie rappelte sich hoch und sah seinen Vater an. »Bist du jetzt mein Untergang? Immer wieder die gleiche Leier in meinem Leben? Macht dich das glücklich?«
    »Ich helfe dir zu entkommen«, erwiderte Ouaziz. »Das ist es, was ich tue. Und das macht mich glücklich. Hol diesen Jungen da raus. Nathan Verstraete.«
    »Nein. Das mach ich nicht.«
    Sallie ging in die Hocke und ließ sich auf den Boden nieder, als wolle er beten.
    Mit der Waffe in der Hand marschierte Kohn zu der in die Aula führenden Schwingflügeltür und suchte an der Wand daneben Deckung. Dort hingen große Bilder aus dem Kunstunterricht.
    Er rief: »Ich suche Nathan Verstraete! Nathan Verstraete! Melde dich! Nathan, komm in die Eingangshalle!«
    Eine Stimme aus der Aula fragte: »Sallie, was sollen wir machen? Sal!«
    Ouaziz zischte seinen Sohn an: »Sag ihm, dass sie den Jungen gehen lassen sollen!«
    Sallie richtete sich kurz auf. Tränen strömten über seine Wangen. Er sagte: »Der Schlag soll dich treffen!«
    Gequält schaute Ouaziz zu Kohn. Schüttelte verzweifelt den Kopf.
    Sallie kauerte mit gesenktem Kopf auf dem Boden, klein, als wollte er im Boden verschwinden. Kohn ging zu ihm. Theo flüsterte mit ihm zusammen Worte, die er gerne einen Schauspieler im Film hätte sagen lassen, wenn er die Gelegenheit dazu gehabt hätte, einen Monolog, den er gerne geschrieben hätte:
    »Hör zu, Junge. Du wirst uns jetzt helfen. Die Kinder gehen allesamt in den nächsten zehn Minuten nach draußen. Ich will dir gerne erklären, welchen Gedanken ich dabei verfolge. Wenn einem von ihnen auch nur ein Haar gekrümmt wird, krümmen wir zehn Haare der Angehörigen deiner Kameraden, verstanden? Wir lassen die Finger von Kindern, wenn wir Rache üben,

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