Ein gutes Herz (German Edition)
denn wir sind nicht so obszön wie ihr. Erwachsene, die werden büßen. Ich verspreche dir: Ein kleiner Kratzer bei einem Schulkind bedeutet zehn Kratzer beim Vater, bei der Mutter oder beim Onkel oder bei der Tante deiner Freunde. Ein totes Schulkind bedeutet drei tote Familienangehörige. Das ist mein Wechselkurs. Klar? Jetzt weißt du, mit wem du es zu tun hast. Ihr kommt hier nicht weg. Es sei denn, wir setzen uns für euch ein. Aber aller Anfang ist die Freilassung der Kinder. Zuerst Nathan, dann der Rest.«
Wechselkurs – das wäre ein interessanter Titel für einen Film über Rache gewesen, dachte Theo.
Da ertönte wieder Sallies Stimme: »Ich glaube dir nicht.«
Kohn drehte sich um und richtete den Lauf seiner Waffe auf die Schulter des jammernden Karel, der drei Meter weiter auf dem Boden lag. Würde Kohn das wagen? Konnte Kohn das Jimmy erklären? Und Theo, konnte er das erklären?
Zu Sallie sagte Kohn: »Was sagtest du gerade?«
»Ich glaube dir nicht.«
Da drückte Kohn ab, man hörte kaum mehr als ein trockenes Klicken. Karel zuckte kurz und blieb dann still liegen. Blut rann seinen Arm hinunter.
Theo schaute fassungslos zu, schwebte an seinen Flügeln still über den vier Männern, ein Topshot der Szenerie: der junge Karel, aus der Nase und der Schulter blutend, die von dem Schuss aufgerissen worden war und blaurotes Fleisch sehen ließ, Sallie, wenige Jahre älter, zusammengekauert, als erwarte er Peitschenschläge, und die zwei erwachsenen Männer, die beide im Besitz einer automatischen Waffe waren. Zwei in Schwarz, zwei in Polizeiblau. Der Fußboden war grau, mit ockergelben und schokoladenbraunen Zierstreifen entlang den Fußleisten. Gute Einstellung.
Sallies Jungs, die anderswo im Gebäude waren, begannen erneut zu rufen: »Was ist da los? Sallie, was ist? Was ist los? Sal!!«
Kohn hat das Herz eines Heiligen bekommen, aber er ist noch genauso gnadenlos wie mit seinem eigenen Herzen, dachte Theo. Wusste Jimmy das? Theo musste nachher über das Ganze Bericht erstatten. Oder sollte er genauso schweigen, wie Kohn und Ouaziz schweigen würden?
Ouaziz sagte zu seinem Sohn: »Sag deinen Kumpeln, dass sie diesen Jungen gehen lassen. Kohn macht keine Scherze. Wenn es sein muss, lässt er alle Angehörigen deiner Jungs töten.«
Sallie kauerte nach wie vor auf dem Fußboden, das Gesicht in den Händen vergraben.
»Ich will nicht, dass Blut fließt«, sagte er.
»Ich auch nicht, Sal«, sagte Ouaziz.
»Was passiert mit uns?«
Kohn sagte: »Ich garantiere euch den sicheren Abzug. Ihr könnt zum Flugzeug fahren. Und dann fliegt bitte in irgendein lächerliches Kaff in den Bergen von Asien stan, und kommt nie mehr wieder. Wenn du dich je wieder hier blicken lässt, lasse ich dich umlegen.« Er und Ouaziz wechselten einen Blick. Kohn würde das niemals tun. Oder doch?
Sallie richtete sich auf und schaute zu Karel hinüber.
»Wird er sterben?«
»Noch nicht. Aber er muss verarztet werden. Schnellstmöglich. Vielleicht kann er seinen rechten Arm nie mehr benutzen.«
Sallie sah seinen Vater an und sagte: »Ich will hier weg. Du wirst nie wieder von mir hören.«
»Du wirst von mir hören. Ich werde dich finden. Und jetzt beweise, dass du ein Anführer bist.«
Sallie stand auf, langsam, als wäre er ein alter Mann, und ging zu der Flügeltür.
»Karel war ein guter Torwart«, sagte er. Dann rief er zur Aula hin: »Ich bin es! Ich komme rein!«
Er legte eine Hand an die Tür und wandte sich zu seinem Vater um. »Ich habe das getan… Ich habe das getan, um zu zeigen, was ich mir ausdenken kann… was ich mich traue… was ich planen kann. Alles, was du getan hast, war ein Kinderspiel im Vergleich… Es ging mir nicht um meinen Glauben… Es ging um…« Er beendete den Satz nicht, sondern drückte die Tür auf und rief: »Nathan Verstraete! Komm her! Draußen wartet jemand auf dich! Und dann… Dann dürfen andere gehen!«
Ein paar Kinder klatschten Beifall, der Applaus schwoll ein paar Sekunden lang an und ebbte dann wieder ab.
Mit der Waffe in der Hand wartete Kohn neben der Tür. Undeutliche Geräusche drangen aus der Aula in die Eingangshalle hinaus. Der eine Flügel der Tür öffnete sich, und der Junge, der Sonjas Kind war, stand da.
Kohn zog ihn sofort an sich und schützte ihn, indem er ihn an die Wand drückte und sich vor ihn stellte.
Der Junge sah ihn mit großen Augen an.
»Sie sind Max Kohn«, sagte er.
Kohn war nicht überrascht, dass er ihn erkannte. »Ja, Nathan.«
Der
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