Ein gutes Herz (German Edition)
Supernova, sondern ein Funkeln für den Bruchteil einer Sekunde? Wenn es das war, was ihm die Reise in eine nächste Phase, eine andere Dimension ermöglichen sollte, ja. Er war bereit, zu einem kurzen Glitzern zu werden. Wenn er Kohn und seinen Sohn damit zusammenbrachte, konnte Theo, wie alle Engel vor ihm, in einem Lichtblitz verglühen.
»Das Geschenk für Lia«, sagte Nathan. »Oben in meinem Rucksack.«
»Das kann warten«, sagte Kohn.
»Nein.«
Der Junge ließ ihn los und rannte die Treppe hinauf.
Kohn wusste einen Moment nicht, wie er reagieren sollte. Dann folgte er ihm.
Der Junge war schnell, wusste, in welchem Rhythmus er die Stufen zu nehmen hatte. Kohn fühlte sein Herz energisch pochen, während er zwei, drei Stufen übersprang. Nathan war dennoch schon ein ganzes Stück weiter oben und nicht mehr zu sehen.
Aus einer Tür kam ein bewaffneter junger Mann hervor, kahlrasiert wie die anderen, mit jungenhaft schönem Gesicht, die Augen vor Panik geweitet, und richtete den Lauf seiner Waffe auf Kohn.
Kohn rief: »Nein!«
Der Junge drückte sofort ab, und Kohn pfiffen die Kugeln um die Ohren, streiften seine Schläfen, rissen Fleisch aus seinen Armen und Beinen, um hinter ihm im Treppenhaus in die Fensterscheiben einzuschlagen. Dann durchzuckten die Salven aus Kohns Waffe den Körper des Jungen, und Kohn schaute zu, wie seine Beine nachgaben und er auf den Boden glitt, mehrere Stufen die Treppe hinunterfiel, mit aufschlagendem Kopf, und mit zitternden Gliedmaßen liegen blieb.
Die Jungen waren zu fünft. Zwei in der Aula. Zwei unten in der Eingangshalle. Das hier war Nummer fünf. Nathan war in Sicherheit. Kohn fühlte warmes Blut von seinen Schläfen zum Hals hinunterrinnen. Auch seine Hände waren blutverschmiert. Er rannte die letzte Treppe hinauf und sah Nathan im Flur auf dem Boden sitzen. Er nahm etwas aus seinem Rucksack.
Kohn eilte zu ihm hinüber. Der Junge sagte: »Ich hab die Uhr von diesem Mann gesehen. Und sie hat geleuchtet. Sie leuchtete plötzlich ganz hell. Da wusste ich, dass ich das Geschenk nicht vergessen darf.«
In dem Moment ließen schwere Schläge das Gebäude erzittern. Zersplitterndes Holz, zerberstendes Glas, als würden ganze Wände weggesprengt. Der Geruch von Tränengas stieg auf. Aus mindestens einem Dutzend Waffen wurde geschossen. In welche Richtung? Auf wen? Kohn zog den Jungen auf den Boden hinunter und schirmte ihn mit seinem verletzten Körper ab.
Durch ein Megaphon verstärkt, donnerte eine Stimme: »Waffen niederlegen! Polizei! Legt die Waffen nieder!«
Hinter Kohns Körper geborgen, in dem Jimmys Herz das Blut durch fünf klaffende Wunden hinauspumpte, flüsterte der Junge ihm ins Ohr: »Ich habe gesehen, dass die Uhr leuchtete.«
»Ja«, sagte Kohn.
»Ich weiß, wer Sie sind. Max Kohn. Sie sind mein Vater. Das hab ich gegoogelt. Ich bin Ihr Sohn.«
Sechs Monate später
LEON
Leon de Winter hatte einen Anruf von einem Mann erhalten, der für das Innenministerium arbeitete. Frans van der Ven war sein Name. Anfangs wich er Fragen aus, welche Stellung er dort bekleidete, aber später bezeichnete er sich als »der Manager« von Minister Donner. Der Mann bat de Winter um seine Aufmerksamkeit – und die seiner Meinung nach zwangsläufig daraus folgenden Zeitungsartikel – für sein Anliegen: die Erklärung eines Lichteffekts, den er sorgfältig untersucht hatte. Van der Vens Überzeugung nach war kurz vor der Stürmung des Schulgebäudes durch die Männer der Spezialeinheit ein ungewöhnlicher Lichteffekt, von ihm LI genannt, aufgetreten. Dieser habe bewirkt, dass Max Kohn und Nathan Verstraete zwei Stockwerke nach oben gerannt seien. Auf dem letzten Treppenabschnitt sei auf Kohn geschossen worden, woraufhin die beiden Schützen aus der Aula, in die alle Kinder gebracht worden waren, in die Eingangshalle gelaufen seien, um ihren Kameraden beizustehen. Als die Männer der Spezialeinheit das Gebäude stürmten, seien somit alle Geiselnehmer und auch Kicham Ouaziz in der Eingangshalle versammelt gewesen. Sie hätten keine Chance gegen die Präzision und Waffengewalt der Spezialeinsatzkräfte gehabt. Die Beendigung der Geiselnahme sei demnach durch einen unerklärlichen Lichteffekt eingeleitet worden, so van der Ven.
De Winter kam zu der Auffassung, dass der Mann nicht ganz richtig im Kopf war. Seine Erzählung fand er aber immerhin so faszinierend, dass er ihn in seiner Doppelhaushälfte in Voorburg aufsuchte.
Van der Ven war jünger, als de Winter
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