Ein gutes Omen
Erziraphael litt an einem ausgeprägten Gefühlschaos,
spürte aber trotzdem, daß irgend etwas nicht stimmte.
»Bist du
allein?« fragte er.
»Nein. Ein
guter alter Bekannter leistet mir Gesellschaft.«
»Hör mir gut zu …«
»Hinfort
mit dir, Höllenbrut!«
Erziraphael drehte sich ganz langsam um.
Zumindest in einem Punkt
erging es Shadwell wie dem Engel: Er zitterte ebenfalls vor Aufregung. Er hatte
alles gesehen. Und gehört. Er wußte nicht, was es bedeutete, aber wenn irgend
jemand Kreise auf den Boden malte, Kerzen anzündete und Weihrauch verbrannte,
schöpfte er sofort Verdacht. Dann erwachte sein berufsmäßiges Mißtrauen. Ja,
mit solchen Dingen kannte er sich aus. Er hatte Die Braut des
Satans insgesamt sechzehn mal im Kino gesehen
(einmal allerdings nur unvollständig; nach einer halben Stunde setzte man ihn
auf die Straße, weil seine wenig schmeichelhaften Kommentare in Hinsicht auf
den Amateur-Hexensucher Christopher Lee die übrigen Zuschauer verärgerten).
Dämonen, dachte Shadwell erzürnt. Und
sie wollen mich an der Nase herumführen. Sie erdreisten es sich sogar, die
glorreichen Traditionen der Hexensucher-Armee zu verspotten.
»Ich habe dich auf frischer Tat ertappt, du Toifelsbiescht!« donnerte
er und kam wie ein von Motten zerfressener Racheengel näher. »Oh, ich weiß, auf
fasch du aus bischt. Fillst beschtimmt unschuldige Frauen verführen, damit sie
schich mit dem Toifel verbünden, nich’ fahr?«
»Ich glaube,
Sie haben sich im Laden geirrt«, erwiderte Erziraphael. »Ich rufe später noch
einmal an«, teilte er Crowley mit und legte auf.
»Ich habe dich
in dem magischen Kreisch geschehen«, knurrte Shadwell. Schaum klebte ihm in den
Mundwinkeln. Er konnte sich nicht daran erinnern, jemals so wütend gewesen zu
sein.
Ȁh, manchmal
sind die Dinge nicht das, was sie zu sein scheinen«, begann Erziraphael und
begriff sofort, daß er damit keine besonders gute Konversationsgrundlage schuf.
»Ja, da hascht du
völlig recht«, triumphierte Shadwell.
»Nein, ich
meine …«
Der
Hexensucher-Feldwebel behielt den Engel im Auge, als er zurückwich und die Tür
so wuchtig zuwarf, daß die Glocke fast vom Haken flog.
»Glocke«, sagte er.
Er griff nach
den Freundlichen und Zutreffenden Prophezeiungen und schlug damit auf den Tisch.
»Buch«, fügte er hinzu.
Er griff in die
Tasche und holte ein halb verrostetes Gasfeuerzeug hervor.
»Improvischierte
Kerze!« rief er und kam wieder näher.
Einige Schritte
vor ihm glühte der Kreis in einem matten blauen Licht.
»Äh«, sagte
Erziraphael, »ich würde Ihnen davon abraten, in den …«
Shadwell hörte
gar nicht zu. »Ich berufe mich auf die Autorität, die mir mein Amt alsch
Hexensucher ferleiht«, intonierte er. »Hebe dich hinfort fon dieschem Orte …«
»Wissen Sie,
der Kreis …«
»… und
kehre dorthin zurück, woher du kommscht, ohne unsch …«
»Es wäre sehr
unklug von einem Menschen, den Kreis …«
»… neuerlichesch
Unheil zu bescheren …«
»Ja, ja, aber bitte halten Sie sich von dem Kreis …«
»… in der
Hölle schollst du schmoren …«
Erziraphael
lief auf Shadwell zu und gestikulierte mit wachsender Verzweiflung.
… und NIE
ZURÜCKKEHREN !« beendete der Feldwebel
seinen Vortrag. Er hob einen drohenden, nikotingelben Zeigefinger.
Erziraphael sah
zu Boden und fluchte zum zweiten Mal innerhalb von fünf Minuten. Er hatte den
Kreis betreten.
»Oh, Scheiße! «sagte
er.
Irgend etwas
rasselte, und das blaue Leuchten verschwand. Ebenso der Engel.
Dreißig
Sekunden verstrichen. Shadwell rührte sich nicht von der Stelle. Schließlich
hob er die zitternde linke Hand und drückte vorsichtig die rechte herab.
»Hallo?« fragte
er. »Hallo?« Niemand antwortete ihm.
Shadwell
schauderte. Er hielt die rechte Hand wie eine gefährliche Waffe, die er weder
abzufeuern wagte noch zu sichern wußte, ging nach draußen und ließ die Tür
hinter sich ins Schloß fallen.
Der Boden im
Laden erzitterte kurz. Eine von Erziraphaels Kerzen kippte um, und brennendes
Wachs rann über altes trockenes Holz.
Crowleys Wohnung in London
war Ausdruck von Stil. Sie hatte alles, was eine gute Wohnung haben sollte:
eine Menge Platz und weiße elegante Möbel. Außerdem erweckte sie den vornehmen,
von begabten Designern angestrebten Eindruck, daß sich nur selten jemand in ihr
aufhielt.
In diesem Fall
lag es daran, daß Crowley fast nie dort wohnte.
Es handelte
sich um ein Quartier, das er abends aufsuchte,
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