Ein gutes Omen
Liguster hinzulegen. Als wir zurückkamen, waren in dem Käfig nicht mehr
sechs kleine Heuschrecken, sondern nur eine große.«
»Unsinn. Du
meinst keine Gespenstheuschrecken, sondern Gottesanbeterinnen. Ich hab einen
Film im Fernsehen gesehen. Ein großes Weibchen fraß ganz gemütlich einen
Artgenossen.«
Erneut schloß
sich Stille an.
»Warum betete
sie zu Gott?« fragte Der Herr.
»Keine Ahnung. Vielleicht betet sie, daß sie nicht heiraten muß oder
so.«
Der Hund
starrte mit einem Auge durch ein Astloch im Zaun des alten Steinbruchs und
blickte nach unten.
»Egal«, sagte
der erste Sprecher in energischem Tonfall. »Es ist wie mit Fahrrädern. Ich habe mir zum Geburtstag ein Rad mit sieben
Gängen, Sportsattel, Purpurlack und allem Drum und Dran gewünscht. Und was
kriege ich? Ein blaues Rad. Mit Korb. Ein Mädchen-Rad.«
»Na, du bist ja
auch ein Mädchen«, kommentierte jemand.
»Das ist Sexismus, jawohl. Warum muß ein Mädchen immer
Mädchendinge bekommen, hm?«
» Ich bekomme einen Hund«, sagte Der Herr fest. Er saß mit dem Rücken zum Hang; sein Gesicht blieb dem
animalischen Gesandten der Hölle verborgen.
»O ja, klar,
bestimmt einen großen Rottweiler, schätze ich«, spottete das Mädchen mit
unüberhörbarem Sarkasmus.
»Nein«,
erwiderte Der Herr. »Es wird
ein Hund sein, mit dem man viel unternehmen kann. Kein besonders großes Tier …«
Das Auge hinter
dem Astloch sank jäh nach unten.
»Ich wünsche
mir einen Hund, der ganz intelligent ist und in Kaninchenbaue kriecht und bei
dem ein Ohr wie umgestülpt aussieht.
Ein Mischling. Eine reinrassige Promenadenmischung.«
Die Kinder
hörten nichts von dem leisen Knall am Rand des Steinbruchs. Vielleicht wurde er
von einem plötzlich entstehenden Vakuum verursacht, als sich ein sehr großer
Hund in einen sehr kleinen verwandelte.
Das kurz darauf
ertönende leise Plopp mochte
von einem sich umstülpenden Ohr stammen.
»Und ich nenne
ihn …«, sagte Der Herr. »Ich nenne ihn …«
»Ja?« fragte
das Mädchen gespannt. »Wie soll er heißen?«
Der Hund
wartete. Dies war der entscheidende Augenblick. Die Namensgebung. Dadurch
erhielt seine Existenz einen Sinn; dadurch bekam er Identität. Die Augen – sie
befanden sich jetzt nicht mehr ganz so hoch über dem Boden – glühten in einem
düsteren Rot, und erneut tropfte Speichel von einer wesentlich kleineren
Schnauze.
»Ich nenne ihn
Hund«, verkündete Der Herr. »Das ist am einfachsten.«
Der Höllenhund
neigte verwirrt den Kopf zur Seite. Tief in seiner teuflischen Seele ahnte er,
daß irgend etwas nicht stimmte, doch das Gebot der Gehorsamkeit und jähe Liebe
zum Herrn verdrängten
das Unbehagen. Konnte er doch nicht einmal die eigene Größe bestimmen!
Er trippelte
den Hang hinab, um sich dem Schicksal zu stellen.
Seltsame
Empfindungen regten sich in ihm. Er hatte immer den Wunsch verspürt, Menschen
anzuspringen und ordentlich zu knurren, aber jetzt fühlte er sich gleichzeitig
versucht, auch mit dem Schwanz zu wedeln.
»Du hast gesagt, er sei der
Sohn des Teufels!« stöhnte Erziraphael, strich geistesabwesend Schlagsahne vom
Kragen und leckte sich die Finger ab.
»Er war es«, erwiderte Crowley. »Ich meine, er sollte
es sein.«
»Vielleicht hat
sich irgend jemand in unsere Angelegenheiten eingemischt.«
»Wer denn? Es
gibt doch nur uns. Gut und Böse. Entweder das eine oder das andere.«
Der Dämon
klopfte aufs Lenkrad.
»Du wärst
sicher erstaunt, wenn ich dir erzählen würde, auf welche Art und Weise man Unten zur Rechenschaft gezogen wird, wenn irgend
etwas nicht klappt«, sagte er leise.
»Ich nehme an,
die disziplinarischen Maßnahmen unterscheiden sich nicht sonderlich von denen
im Himmel«, entgegnete Erziraphael.
Crowley winkte
ab. »Ach, komm schon! Bei euch gibt’s erhabene Barmherzigkeit.«
»Glaubst du?
Und was ist mit Gomorrha?«
»O ja«, sagte
der Dämon. »Ich erinnere mich an eine kleine gemütliche Taverne, wo spärlich
bekleidete Kellnerinnen leckere Cocktails aus fermentierten Datteln, Muskatnuß
und einem Schuß Zitronensaft servierten …«
»Ich meine
nachher.«
»Oh!«
Erziraphael
schürzte die Lippen. »Vielleicht passierte etwas im Krankenhaus.«
»Unmöglich.
Dort wimmelte es von unseren Leuten!«
»Von wessen
Leuten?« fragte der Engel kühl.
»Von meinen«,
berichtigte sich Crowley. »Nun, nicht unbedingt von meinen. Es waren, äh, Satanisten. Du weißt schon.«
Er versuchte,
die letzten Worte wie eine beiläufige
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