Ein gutes Omen
ich
ebenfalls. Ach, wir sind
auch nur Menschen.
(Miß O. J. Apparat,
5. Januar 1854)
»Aber …«, begann Newt.
Inzwischen war
es ihm fast gelungen, sich von der Nichtexistenz des UFOs zu überzeugen –
bestimmt handelte es sich nur um ein Hirngespinst, um ausufernde Phantasie und
dergleichen. Was den Tibetaner betraf, suchte er immer noch nach einer
einigermaßen plausiblen Erklärung. Doch gleichzeitig kroch ihm ein anderer
Aspekt der zunehmend komplizierter werdenden Wirklichkeit ins Bewußtsein: Er
konnte nicht länger leugnen, daß er einer ausgesprochen attraktiven Frau
Gesellschaft leistete, die ihn sogar sympathisch zu finden schien. Nun,
wenigstens erweckte er keinen Abscheu in ihr, und das war ein erheblicher
Fortschritt. Zugegeben, seit einiger Zeit geschahen recht seltsame Dinge, aber
wenn er sich wirklich Mühe gab – wenn er das Boot des gesunden Menschenverstands
in den Stromschnellen der Indizien flußaufwärts steuerte –, ließ sich alles auf
Wetterballons, Satelliten, die Venus oder Massenhalluzination zurückführen.
Kurz gesagt,
was immer Newt jetzt gerade zum Denken benutzte, eins war es sicher nicht: sein
Gehirn.
»Aber …«,
wiederholte er und schluckte. »Aber die Welt geht doch nicht wirklich unter,
oder? Ich meine, sehen Sie sich doch um. Es gibt keine Probleme in den
internationalen Beziehungen – zumindest nicht mehr als üblich. Ich schlage vor,
wir lassen diesen Kram ruhen und … und gehen nach draußen und …
machen einen Spaziergang und, vielleicht, oder. Ah. Ich meine …«
»Verstehen Sie
denn nicht?« Anathema beugte sich vor und deutete auf die Karte. »Hier in
Tadfield gibt es etwas, das die ganze Region beeinflußt. Es verzerrt die
Auren-Strahlungen. Es schützt das Dorf vor allen Veränderungen. Es … Es …«
Sie spürte es erneut: Irgend etwas schob einen Gedanken beiseite, der nicht konkret und greifbar werden
durfte, wie ein Traum, der mit dem Erwachen verschwindet.
An den Fenstern
kratzte es. Ein Jasminzweig bewegte sich im Wind und strich immer wieder übers
Glas.
»Aber ich kann
es einfach nicht lokalisieren«, sagte Anathema und gestikulierte hilflos. »Ich
habe alles versucht.«
»Lokalisieren?«
kam es aus Newts Mund.
»Das Pendel
versagte. Sogar der Thauodalit. Ich besitze übernatürliche Fähigkeiten, wissen
Sie. Aber in diesem Fall nützen sie mir nichts«.
Newt war noch
so weit zur nüchternen Überlegung fähig, daß er das Gehörte vernünftig
übersetzen konnte. Wer sagte: ›Ich besitze übernatürliche Fähigkeiten, wissen
Sie‹, meinte damit meistens folgendes: ›Ich habe eine sehr lebhafte, aber leider
wenig originelle Phantasie.‹ Oder: ›Ich lackiere mir die Fingernägel schwarz.‹
Oder: ›Ich spreche mit meinem Wellensittich.‹ Doch wenn Anathema einen
derartigen Ausdruck benutzte, so klang es, als spreche sie von einer
Erbkrankheit, auf die sie gern verzichtet hätte.
»Armageddon
steht bevor?« fragte Newt.
Anathema
achtete nicht darauf. »Verschiedene Prophezeiungen behaupten, erst erscheine
der Antichrist. Agnes erwähnte einen Er. Wenn ich ihn doch nur finden könnte …«
»Oder eine
Sie«, sagte Newt.
»Wie?«
»Es könnte auch
eine Sie sein. Immerhin leben wir im zwanzigsten Jahrhundert. Dies ist das
Zeitalter der Gleichberechtigung.«
»Ich glaube,
Sie nehmen diese Sache nicht sonderlich ernst«, erwiderte Anathema streng. In
ihren Augen blitzte es kurz, bevor sie den Blick in die Ferne richtete. »Es
wundert mich, daß es hier nichts Unheilvolles gibt. Nur Liebe.«
»Wie bitte?«
fragte Newt.
Anathema sah
ihn hilflos an. »Es ist schwer zu beschreiben«, begann sie. »Etwas oder jemand
liebt diesen Ort, liebt jeden einzelnen Quadratzentimeter – und zwar mit
solcher Hingabe, daß Tadfield abgeschirmt wird. Eine tiefempfundene, starke, allesumfassende
Liebe. Wie kann es hier Platz für Böses geben? Wie kann der Weltuntergang
ausgerechnet hier beginnen? In einem solchen Dorf möchte man seine Söhne und
Töchter aufwachsen lassen. Es ist ein Paradies für Jungen und Mädchen.«
Anathema lächelte schief. »Sie sollten sich die hiesigen Kinder einmal ansehen!
Sie sind genau so, wie sie sein sollten, und das ist doch nicht normal, oder?
Sie haben schorfige Knie, blicken aus großen, staunenden Augen in die Welt und
rufen immer wieder: ›He, das ist ja toll …‹ Klingt ganz nach einem
Pfadfinder-Werbeprospekt, nicht wahr?«
Fast war es
soweit. Sie fühlte die Konturen des Gedankens, dem
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