Ein Hauch Vanille (German Edition)
stand ich da und konnte es nicht wirklich
glauben. Schleichend passierte ich die Tür und blieb vor Shane stehen.
„Das würde bei uns nie funktionieren!“
„Wieso nicht? Du musst doch irgendetwas mit deinem Leben anfangen, wenn du
keine Aufgabe hast, wofür lebst du dann? Was fängst du mit deiner Zeit an?“
„Ja, keine Ahnung, weiß nicht.“ Ungläubig blickte er mich an. „Für mich käme
das ja auch nie in Frage“, entgegnete ich und überlegte kurz. „Dann gibt es bei
euch ja auch gar keine Arbeitslosigkeit!?“
„Nein“, sagte er wie selbstverständlich, während er die Milch in der
Lenkertasche verstaute, die wie dafür geschaffen schien. Weil mir die
Überlegenheit in seiner Stimme jedoch nicht gefiel, hakte ich mürrisch nach.
„Mh, aber wenn das alles so toll ist, warum will Can dann eigentlich hier weg?“
Mein Misstrauen hatte wieder die Oberhand gewonnen und ich wollte es nun ganz
genau wissen.
„Wenn du nach Reichtum und Luxus strebst und die wichtigste Person in deinem
Leben du selbst bist, dann bist du hier definitiv falsch. Hier bekommt jeder
das gleiche, wenn er es will. Niemand bekommt mehr als der andere,
Ungerechtigkeiten werden so vermieden, um in Harmonie leben zu können.“
„Wenn es funktioniert…“, wandte ich vorwurfsvoll ein.
„Hört sich irgendwie wie ein Werbeslogan an“.
Da hatte ich wohl bei ihm einen Nerv getroffen. Denn seine Augen verengten sich
plötzlich, er wurde wütend und geriet so richtig in Fahrt.
„Jedenfalls muss hier niemand Hunger leiden, denn wir haben nicht dieses
Ungleichgewicht von Reichtum und Armut, wie es bei euch der Fall ist. Nennt ihr
das etwa Gemeinschaft? Was ist das für eine Gesellschaft, die nicht
miteinander, sondern gegeneinander lebt?“ Er besann sich wieder und sein
Tonfall wurde sanfter. „ Aber lass uns jetzt nicht mehr darüber reden, steig
auf und lass uns fahren, meine Mutter wartet sicher schon“.
Ich
fühlte mich unwohl, wortlos zog ich den Helm auf und stieg hinter ihm auf das
Segway. Nicht nur wegen unserer Meinungsverschiedenheit war meine Stimmung am
Boden, auch wegen der aufgebrauchten Zauberpilze, die mir jedes Mal verdeutlichten,
dass ich hier nur eine Persona non grata war.
„Halt bitte mal an, wenn du irgendwo Zauberpilze siehst“, sagte ich freudlos,
bevor ich mein Visier schloss. Dann schmiegte ich mich an ihn, während er sanft
meine ihn umschlingenden Arme streichelte.
Nach kurzer Fahrt hielten wir an einer riesigen Grünfläche mit sternförmigen
kurzen Pflanzen, auf denen massenhaft Zauberpilze wuchsen. Es sah wie eine
Versammlung oder ein Aufstand aus, so viele waren es.
Ich nahm drei Hüte zwischen Zeige- und Mittelfinger und pflückte sie ab. Die
Stiele ließ ich stehen, da ich sie wegen ihrer Zähheit, für zu bitter hielt.
Mit zugehaltener Nase schlang ich die Hüte hinunter und hoffte so den Brechreiz
zu umgehen. Doch er kam noch, nur etwas später. Während ich würgte, musste ich
so laut aufstoßen, dass Shane sich schlapp lachte. Was ich überhaupt nicht
lustig fand. Aber wenigstens rutschten die Hüte leichter den Hals hinunter.
Livia
verspürte noch immer den unbändigen Drang mein Psy zu berühren und schon wieder
stand sie ganz neugierig neben mir. Ich ließ sie gewähren, doch Shane wurde es
nun langsam peinlich.
„Entschuldige
Lilly, aber das ist das erste Psy, das sie zu Gesicht bekommt.“
„Es ist so faszinierend!“ sagte Livia und freute sich wie ein kleines Kind, bis
es auch mir langsam zu viel wurde.
„Apropos, ich will Jasmin und Marcus besuchen und habe gesagt, dass du
mitkommst“, sagte Shane und machte eine kurze Pause. Dann fügte er hinzu: „wenn
du Lust dazu hast…“ Er schaute mich an und wartete auf eine Antwort.
„Wer sind denn Marcus und Jasmin?“ fragte ich neugierig.
„Durch Marcus habe ich eure Welt erst kennen gelernt. Er hatte, wie du, aus
Versehen ein Portal geöffnet, während ich genau neben dem Eingang stand. Es war
Schicksal, genau wie bei uns“.
Er lächelte und streichelte mir übers Gesicht. Dann änderte sich sein Tonfall
plötzlich. Er wurde betroffen, seine Mimik wirkte wie versteinert.
„Seine Frau Jasmin ist an Krebs erkrankt.
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