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Ein Hauch von Schnee und Asche

Ein Hauch von Schnee und Asche

Titel: Ein Hauch von Schnee und Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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    Ich hatte in der Tat bereits früher Bekanntschaft mit dem heiligen Paulus und seinen Ansichten gemacht und mir auch selbst die eine oder andere überlegt.

    »Ich gehe davon aus, dass der heilige Paulus selbst einer Frau begegnet ist, die ihn an die Wand diskutieren konnte«, sagte ich nicht ohne Mitgefühl. »Da war es natürlich einfacher, dem ganzen Geschlecht den Mund zu verbieten, als fair zu argumentieren. Von Euch hätte ich allerdings mehr erwartet, Mr. Christie.«
    »Aber das ist ja Gotteslästerung!«, keuchte er sichtlich schockiert.
    »Das ist es nicht«, konterte ich, »es sei denn, Ihr wollt damit sagen, dass der heilige Paulus in Wirklichkeit Gott ist – und falls Ihr das sagen wollt, bin ich doch sehr der Meinung, dass das Gotteslästerung ist. Aber lasst uns nicht streiten«, sagte ich, weil ich sah, dass ihm die Augen aus dem Kopf zu treten begannen. »Lasst mich …« Ich erhob mich von meinem Hocker und trat einen Schritt vor, was den Abstand zwischen uns so verringerte, dass ich ihn berühren konnte. Er wich so hastig zurück, dass er gegen den Tisch stieß und ihn zum Wackeln brachte, so dass Malvas Handarbeitskorb, ein Tonkrug mit Milch und ein Zinnteller scheppernd zu Boden flogen.
    Ich bückte mich rasch und schnappte nach dem Handarbeitskorb, bevor er von der Milch überschwemmt wurde. Mr. Christie hatte genauso rasch einen Lappen vom Herd genommen und sich gebückt, um diese aufzuwischen. Fast hätten wir uns die Köpfe gestoßen, und ich verlor das Gleichgewicht und stolperte gegen ihn. Er hielt mich automatisch an den Armen fest und ließ den Lappen fallen, dann ließ er mich hastig los und fuhr zurück. Ich landete schwankend auf den Knien.
    Er kniete ebenfalls und atmete schwer, befand sich aber jetzt in sicherem Abstand von mir.
    »In Wirklichkeit«, sagte ich streng und zeigte mit dem Finger auf ihn, »habt Ihr Angst.«
    »Das stimmt nicht!«
    »Oh, doch.« Ich erhob mich, stellte den Arbeitskorb auf den Tisch und schob den Lappen vorsichtig mit dem Fuß über die Milchpfütze. »Ihr habt Angst, dass ich Euch wehtun werde – aber das werde ich nicht«, versicherte ich ihm. »Ich besitze eine Medizin, die sich Äther nennt; sie wird Euch einschlafen lassen, und Ihr werdet nichts spüren.«
    Er blinzelte.
    »Und vielleicht habt Ihr Angst, Finger zu verlieren oder die Hand gar nicht mehr benutzen zu können.«
    Er kniete unverändert vor dem Herd und starrte zu mir auf.
    »Ich kann Euch nicht hundertprozentig garantieren, dass das nicht geschehen wird«, sagte ich. »Ich glaube nicht, dass es dazu kommt – aber der Mensch denkt, und Gott lenkt, nicht wahr?«
    Er nickte ganz langsam, blieb aber stumm. Ich holte tief Luft, denn fürs Erste waren mir die Argumente ausgegangen.
    »Ich glaube , dass ich Eure Hand heilen kann«, sagte ich. »Ich kann es
nicht garantieren. Manchmal gibt es Zwischenfälle. Entzündungen, Unfälle – irgendetwas Unerwartetes. Aber…«
    Ich streckte die Hand nach ihm aus und wies auf die verkrüppelte Gliedmaße. Wie ein hypnotisierter Vogel, der im Blick einer Schlange gefangen ist, streckte er den Arm aus und ließ zu, dass ich ihn ergriff. Ich nahm sein Handgelenk und zog ihn hoch; er stand widerstandslos auf, blieb stehen und ließ mich seine Hand festhalten.
    Ich nahm sie in die meine und drückte die verkrümmten Finger zurück, um sanft mit dem Daumen über die verdickte Aponeurose der Handfläche zu reiben, die die Sehnen einklemmte. Ich konnte sie deutlich spüren; konnte vor meinem inneren Auge genau sehen, wie ich das Problem angehen musste, wo ich das Skalpell ansetzen musste, wie sich die schwielige Haut teilen würde. Die Länge und Tiefe des Z-förmigen Einschnitts, der seine Hand befreien würde, so dass sie wieder zu gebrauchen war.
    »Ich habe das schon öfter gemacht«, sagte ich leise und drückte zu, um die Knochen unter der Haut zu spüren. »Ich schaffe es auch diesmal, so Gott will. Wenn Ihr mich lasst?«
    Er war nur ein paar Zentimeter größer als ich; ich hielt seinen Blick genau wie seine Hand. Seine grauen Augen waren klar und scharf und durchforschten mein Gesicht mit einem Ausdruck zwischen Angst und Argwohn – doch dahinter lag noch etwas anderes. Ganz plötzlich wurde mir sein Atem bewusst, langsam und gleichmäßig, und ich spürte ihn warm auf meiner Wange.
    »Nun gut«, sagte er heiser. Er zog seine Hand aus der meinen, nicht abrupt, sondern beinahe zögernd, und umschloss sie wieder mit seiner gesunden Hand.

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