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Ein Hauch von Schnee und Asche

Ein Hauch von Schnee und Asche

Titel: Ein Hauch von Schnee und Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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konnte – hörte ihn dann aber, ein langes, pfeifendes Einatmen, gefolgt von einem dröhnenden Schnarchen.
    Mir wurde klar, dass es nicht das war, was mich geweckt hatte. Es war die plötzliche Stille an meiner Seite. Jamie lag stocksteif neben mir und atmete kaum.
    Ich streckte langsam die Hand aus, um ihn nicht mit meiner Berührung zu erschrecken, und legte sie auf sein Bein. Er hatte seit Monaten keine Albträume mehr gehabt, doch ich erkannte die Anzeichen.
    »Was ist?«, flüsterte ich.
    Er holte ein wenig tiefer Luft als sonst, und sein Körper schien sich ganz in sich zusammenzuziehen. Ich machte keine Bewegung, ließ meine Hand aber auf seinem Bein liegen. Ich fühlte, wie sich seine Muskeln kaum spürbar unter meinen Fingern anspannten, eine winzige Vorbereitung aufs Weglaufen.
    Doch er ergriff nicht die Flucht. Er zuckte kurz und heftig mit den Schultern, dann atmete er aus und entspannte sich wieder. Eine Weile sagte er nichts, doch sein Gewicht zog mich an sich wie einen Mond, der von seinem Planeten angezogen wird. Ich lag still, meine Hand auf ihm, meine Hüfte an der seinen – Fleisch von seinem Fleisch.
    Er starrte nach oben, in die Schatten zwischen den Deckenbalken. Ich konnte sein Profil als Linie sehen, und dann und wann schimmerten seine Augen auf, wenn er blinzelte.
    »In der Dunkelheit…«, flüsterte er schließlich, »damals in Ardsmuir haben wir im Dunklen gelegen. Manchmal schien der Mond, oder die Sterne haben geleuchtet, aber selbst dann konnte man auf dem Boden, wo wir lagen, nichts erkennen. Es war einfach nur schwarz – aber hören konnte man.«
    Die Atmung der vierzig Männer in der Zelle hören, das Rascheln ihrer Bewegungen. Schnarchen, Husten, die Geräusche unruhigen Schlafs – und die leisen, flüchtigen Geräusche derjenigen, die wach lagen.
    »Oft sind Wochen vergangen, und wir haben keinen Gedanken daran verschwendet.« Jetzt fiel ihm das Sprechen leichter. »Wir hatten immer Hunger,
haben immer gefroren. Müde bis auf die Knochen. In einer solchen Lage denkt man nicht viel nach, höchstens darüber, wie man einen Fuß vor den anderen setzt, den nächsten Stein hochhebt… Eigentlich möchte man nicht denken, verstehst du? Und es ist gar nicht so schwer, es nicht zu tun. Eine Zeit lang.«
    Doch hin und wieder änderte sich etwas. Der Nebel der Erschöpfung hob sich unvermittelt und ohne Vorwarnung.
    »Manchmal wussten wir, woran es lag – eine Geschichte, die jemand erzählt hatte, vielleicht, oder ein Brief, den jemand von seiner Frau oder Schwester bekommen hatte. Manchmal kam es aus dem Nichts; niemand sagte ein Wort, doch man wachte mitten in der Nacht davon auf, und es war wie der Geruch einer Frau, die neben einem lag.«
    Erinnerungen, Sehnsucht … Not. Sie wurden zu Männern, die brannten – von der plötzlichen, schneidenden Erinnerung an ihren Verlust aus ihrer dumpfen Akzeptanz gerissen.
    »Dann waren alle eine Zeit lang außer sich. Es wurde ununterbrochen gestritten. Und des Nachts, in der Dunkelheit …«
    Des Nachts konnte man die Laute der Verzweiflung hören, unterdrücktes Schluchzen oder verstohlenes Rascheln. Manche der Männer streckten schließlich die Hände nach einem anderen aus – und wurden manchmal lautstark mit Fausthieben abgewiesen. Manchmal nicht.
    Ich war mir nicht sicher, was er mir zu sagen versuchte oder was es mit Thomas Christie zu tun hatte. Oder vielleicht mit Lord John Grey.
    »Hat irgendeiner von ihnen jemals … dich berührt?«, fragte ich zögernd.
    »Nein. Keiner von ihnen wäre auch nur auf den Gedanken gekommen«, sagte er ganz leise. »Ich war ihr Anführer. Sie haben mich geliebt – aber sie wären nie darauf gekommen, mich zu berühren.«
    Er holte tief und angestrengt Luft.
    »Und hast du es dir gewünscht?«, flüsterte ich. Ich konnte spüren, wie mein Puls in meinen Fingerspitzen zu pochen begann, an seiner Haut.
    »Ich habe danach gehungert«, sagte er so leise, dass ich ihn kaum hören konnte, obwohl ich so dicht bei ihm lag. »Mehr als nach Nahrung. Mehr als nach dem Schlaf – obwohl ich mir den Schlaf verzweifelt herbeigewünscht habe, und das nicht nur aus Müdigkeit. Denn im Schlaf habe ich manchmal dich gesehen. Aber es war keine Sehnsucht nach einer Frau – obwohl sie weiß Gott stark genug war. Es war nur – ich habe mir die Berührung einer Hand gewünscht. Nur das.«
    Seine Haut hatte vor Sehnsucht so sehr geschmerzt, dass er das Gefühl hatte, sie müsste durchsichtig werden, so dass jeder das

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